Die Liebeshandlung
um sich zu waschen oder für ein
puja
-Ritual, und die Sache ist gelaufen. Die Bakterien gelangen in die Schnittwunde und fangen an, sein Gesicht aufzufressen. Wir haben seinen Verband erst vor drei Stunden gewechselt, und jetzt muss es schon wieder sein.»
Der Bienenzüchter hatte dank seines Interesses für Medizin lauter solche Informationen auf Lager. Er nutzte den Mangel an ausgebildetem Personal und agierte auf der Station beinahe wie ein Assistenzarzt, befolgte Anweisungen der Ärzte, führte regelrechte kleine Eingriffe aus, indem er Wunden reinigte oder mit einer Pinzette Larven aus nekrotischem Fleisch entfernte.
Jetzt kniete er sich hin, quetschte seinen Körper in den engen Zwischenraum zwischen den Betten. Als er die Gaze und das Pflaster behutsam aufs Bett legte, öffnete der Mann sein eines gutes Auge und sah ängstlich drein.
«Alles in Ordnung, Mann», sagte der Bienenzüchter. «Ich bin dein Freund. Ich bin hier, um dir zu helfen.»
Der Bienenzüchter war ein zutiefst aufrichtiger, zutiefst guter Mensch. Wenn Mitchell, William James’ Kategorien zufolge, eine kranke Seele war, dann war der Bienenzüchter eindeutig geistig gesund. («Ich meine die, die eine unterstellte Unzufriedenheit entschieden bestreiten würden, als wäre ein solches Gefühl etwas Gemeines und Falsches.») Es war inspirierend, darüber nachzudenken, wie er sich in der Hochwüste um seine Bienen kümmerte, die Kinder aufzog, leidenschaftlich seine Frau liebte (wovon er oft sprach) und, wohin man auch schaute, Gutes tat. Und dann war aus diesem vollkommenen Leben heraus das Bedürfnis erwachsen, auszubrechen, wirkliche Schwierigkeiten, ja Mühsal auf sich zu nehmen, um das Leiden anderer zu lindern. Um mit Menschen wie dem Bienenzüchter zusammen zu sein, war Mitchell nach Kalkutta gekommen, da er sich dafür interessierte, wie sie waren, und ihre Güte auf ihn abfärben sollte.
Der Bienenzüchter wandte Mitchell sein sonniges Gesicht zu.
«Wie hältst du dich heute?», fragte er.
«Gut. Ich gebe ja nur die Medikamente aus.»
«Es ist schön, dich hier zu sehen. Wie lange kommst du jetzt schon?»
«Das ist meine dritte Woche.»
«Bravo! Manche werfen nach ein paar Tagen das Handtuch. Mach weiter so. Wir brauchen jede Hilfe, die wir kriegen können.»
«Das werde ich», sagte Mitchell und schob seinen Wagen voran.
Er erledigte die Betten in der ersten und zweiten Reiheund ging zurück, um die an der Wand zu versorgen, auf der anderen Seite des Gangs. Der Mann in Bett 57 lag auf einen Ellbogen gestützt da und beobachtete Mitchell würdevoll. Er hatte ein feines Patriziergesicht, kurzes Haar und eine blässliche Haut.
Als Mitchell ihm seine Tabletten gab, sagte der Mann: «Was sollen diese Medikamente bezwecken?»
Einen Moment lang vom Englisch des Mannes überrumpelt, sagte Mitchell: «Ich bin mir nicht sicher, wofür sie genau sind. Ich könnte die Ärztin fragen.»
Der Mann blähte die Nasenflügel. «Das sind doch bestenfalls Palliative.» Er machte keine Anstalten, sie zu nehmen. «Woher kommen Sie?», fragte er Mitchell.
«Ich bin Amerikaner.»
«Ein Amerikaner würde niemals in einer solchen Einrichtung schmachten. Das stimmt doch, oder?»
«Wahrscheinlich», gab Mitchell zu.
«Ich sollte auch nicht hier sein», erklärte der Mann. «Vor Jahren, bevor ich krank wurde, war es mein Glück, im Ministerium für Landwirtschaft zu arbeiten. Sie erinnern sich vielleicht an die Hungersnöte, die wir in Indien hatten. George Harrison gab sein berühmtes Konzert für Bangladesh.
Daran
erinnert sich jeder. Aber die Lage in Indien war genauso katastrophal. Heute, als Ergebnis der Veränderungen, die wir damals vernlassten, kann Mutter Indien ihre Kinder wieder füttern. In den letzten fünfzehn Jahren ist die landwirtschaftliche Produktion pro Kopf um fünf Prozent gestiegen. Wir brauchen kein Getreide mehr einzuführen. Wir bauen genügend Getreide an, um eine Bevölkerung von siebenhundert Millionen Seelen zu ernähren.»
«Das ist gut zu wissen», sagte Mitchell.
Der Mann redete weiter, als hätte Mitchell nichts gesagt.«Ich habe meine Stelle aufgrund von Vetternwirtschaft verloren. In diesem Land herrscht enorme Korruption. Enorme Korruption! Dann, einige Jahre später, zog ich mir eine Infektion zu, die meine Nieren zugrunde gerichtet hat. Ich habe eine Nierenfunktion von nur noch zwanzig Prozent. Während ich mit Ihnen spreche, steigt die Verunreinigung meines Blutes. Steigt auf unerträgliche Werte.» Er
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