Die Liebeshandlung
richtigen Moment. Ich brauche Hilfe.»
Er führte Mitchell zu einem Bett in der Mitte des Raumes. Darin lag ein Mann, der, sogar im Vergleich mit den älteren Männern im Kalighat, besonders abgemagert war. In sein Laken gewickelt, sah er so uralt und braunhäutig aus wie eine ägyptische Mumie, eine Ähnlichkeit, die seine eingefallenen Wangen und seine gebogene, messerscharfe Nase noch unterstrichen. Anders als bei einer Mumie waren die Augen des Mannes aber weit geöffnet. Sie waren blau und angstvoll und schienen zu etwas hinaufzustarren, was nur er sehen konnte. Seine unentwegt bebenden Glieder trugen noch zum Ausdruck äußersten Schreckens auf seinem Gesicht bei.
«Dieser Herr braucht ein Bad», sagte der Bienenzüchtermit seiner tiefen Stimme. «Jemand hat die Pritsche genommen, wir müssen ihn also tragen.»
Es war unklar, wie sie das fertigbringen würden. Mitchell ging ans Fußende des Bettes und wartete, während der Bienenzüchter das Laken des alten Mannes wegzog. So entblößt, ähnelte der Mann erst recht einem Skelett. Der Bienenzüchter fasste ihn unter den Armen, Mitchell nahm seine Fußgelenke, und auf diese unsensible Art hoben sie ihn von der Matratze und legten ihn in den Gang.
Bald stellten sie fest, dass sie auf die Trage hätten warten sollen. Der alte Mann war schwerer als erwartet und sperrig. Er hing zwischen ihnen wie ein Tierkadaver. Sie versuchten, so behutsam wie möglich zu sein, aber als sie sich erst einmal den Gang entlangbewegten gab es keine Stelle mehr, wo sie den alten Mann hätten ablegen können. Das Beste schien, ihn so schnell wie möglich in den Waschraum zu bekommen, und in ihrer Eile fingen sie an, ihn weniger wie einen Menschen als wie einen Gegenstand zu tragen. Dass er nicht zu merken schien, was mit ihm geschah, ermutigte sie noch. Zweimal stießen sie ziemlich heftig mit ihm gegen andere Betten. Mitchell wechselte den Griff an den Fußgelenken des alten Mannes und ließ ihn dabei fast fallen, und so torkelten sie durch die Frauenstation nach hinten ins Badezimmer.
Das war ein Raum aus gelbem Stein mit einer steinernen Bank am Ende, auf der sie den alten Mann ablegten, und erhellt von diesigem Licht, das durch ein einziges steinernes Gitterfenster einsickerte. Messingwasserhähne ragten aus den Wänden, und in der Mitte des Fußbodens war ein großer, schlachthausartiger Abfluss eingelassen.
Weder Mitchell noch der Bienenzüchter verloren ein Wort darüber, wie miserabel sie den Transport des alten Mannes bewerkstelligt hatten. Er lag jetzt auf dem Rücken, immernoch mit stark zitternden Gliedern und aufgerissenen Augen, als betrachtete er einen endlosen Schrecken. Sie zogen ihm langsam das Krankenhaushemd über den Kopf. Die Leistengegend des alten Mannes war mit einer durchweichten Bandage verbunden.
Mitchell hatte keine Angst mehr. Er war bereit für alles, was er tun musste. Das war es. Das war es, weshalb er gekommen war.
Mit einer Sicherheitsschere zerschnitt der Bienenzüchter das Heftpflaster. Die vereiterte Windel ging auf und enthüllte die Ursache der Qual des alten Mannes.
Ein Tumor von der Größe einer Grapefruit war im Skrotum des Mannes gewachsen. Auf den ersten Blick machte die schiere Größe des Gewächses es schwer, es als einen Tumor zu identifizieren; es sah mehr aus wie ein rosa Ballon. Der Tumor war so groß, dass er die normalerweise faltige Haut des Skrotums straff gespannt hatte wie eine Trommel. Ganz oben auf der Schwellung, wie der abgebundene Hals des Ballons, hing der verschrumpelte Penis des Mannes zur Seite.
Als die Bandage abfiel, bewegte der alte Mann seine zittrigen Hände, um sich zu bedecken. Es war das erste Anzeichen dafür, dass er wusste, sie waren da.
Der Bienenzüchter drehte den Hahn auf und prüfte die Wassertemperatur. Er füllte einen Eimer. Er hielt ihn hoch und goss das Wasser langsam, feierlich über den alten Mann.
«Dies ist der Leib Christi», sagte er.
Er füllte den Eimer erneut und wiederholte den Vorgang:
«Dies ist der Leib Christi.»
«Dies ist der Leib Christi.»
«Dies ist der Leib Christi.»
Auch Mitchell füllte einen Eimer mit Wasser und goss esüber den alten Mann. Er fragte sich, ob das herabfließende Wasser dessen Schmerzen verschlimmerte. Es war unmöglich zu erkennen.
Dann schäumten sie den Alten mit antiseptischer Seife ein, gebrauchten dazu ihre bloßen Hände. Sie wuschen ihm Füße und Beine, Rücken und Brust, Arme und Hals. Mitchell glaubte keine Sekunde lang, der
Weitere Kostenlose Bücher