Die Liebeshandlung
‹Riverside Drive. Vier Zimmer in Vorkriegsgebäude. Blick auf den Hudson. Zweites Schlafzimmer imArbeitszimmer möglich. Bezug erster August.› Du musst sie dir heute noch ansehen, sonst ist sie weg.»
«Heute noch?», sagte Madeleine zweifelnd.
«Sie steht nicht auf meiner Angebotsliste. Ich habe den Makler gebeten, sie nicht vor morgen zu zeigen.»
Madeleine war sich nicht sicher, ob sie das schaffen konnte. Sie war in der Woche zuvor schon dreimal auf Wohnungssuche in New York gewesen. Da es keine gute Idee war, Leonard allein zu lassen, hatte sie jedes Mal Phyllida bitten müssen, bei ihm zu bleiben. Phyllida behauptete zwar, nichts dagegen zu haben, aber Madeleine wusste, dass es ihre Mutter nervös machte.
Andererseits schien es die perfekte Wohnung zu sein. «Welche Querstraße?», fragte sie.
«Seventy-seventh Street», sagte Kelly. «Fünf Blocks vom Central Park. Fünf Haltestellen bis zur Columbia. Man kommt auch leicht zur Penn Station, was du ja wolltest.»
«Das ist ideal.»
«Und wenn du heute kommst, nehme ich dich mit auf eine Party.»
«Eine Party?», sagte Madeleine. «Ich erinnere mich an welche.»
«Bei Dan Schneider. Gleich neben meinem Büro. Es kommen massenhaft Leute von der Brown, da kannst du dich wieder einklinken.»
«Erst mal muss ich klären, ob ich überhaupt kommen kann.»
Das potenzielle Hindernis war für keine von beiden ein Geheimnis. Nach einer Weile fragte Kelly in ruhigerem Ton: «Wie geht’s Leonard?»
Das war schwer zu beantworten. Madeleine saß in Altons Arbeitssessel und blickte hinaus auf die Weymouthskiefernhinten im Garten. Leonards neuem Arzt zufolge – nicht mehr der französische Psychiater, Dr. Lamartine, der ihn in Monaco behandelt hatte, sondern der neue Spezialist am Penn Medical Center, Dr. Wilkins – war Leonard nicht «ausgeprägt selbstmordgefährdet». Das bedeutete keineswegs, dass er nicht selbstmordgefährdet war, sondern nur, dass ein relativ geringes Risiko bestand. So gering jedenfalls, dass es eine Einweisung nicht rechtfertigte (Änderungen vorbehalten). In der Woche zuvor, an einem regnerischen Mittwochnachmittag, waren Alton und Madeleine nach Philadelphia gefahren, um mit Wilkins in seiner Praxis allein zu sprechen. Danach hatte sich in Madeleine das Gefühl festgesetzt, dass Wilkins jedem anderen sachkundigen, wohlmeinenden Experten glich, einem Volkswirt zum Beispiel, der Voraussagen aufgrund von verfügbaren Daten machte, dessen Schlussfolgerungen aber keineswegs endgültig waren. Sie hatte jede Frage, die ihr zu möglichen Warnzeichen und vorbeugenden Maßnahmen nur einfiel, gestellt. Sie hatte sich Wilkins’ vernünftige, aber unbefriedigende Antworten angehört. Und dann war sie nach Prettybrook zurückgefahren, hatte weiter mit ihrem neuen Ehemann zusammengelebt und geschlafen und sich jedes Mal, wenn er das Zimmer verließ, gefragt, ob er sich etwas antun werde.
«Leonard geht es nicht besser», sagte sie schließlich.
«Na, du solltest kommen und dir die Wohnung ansehen», sagte Kelly. «Komm um sechs, und danach können wir auf diese Party gehen. Nur für eine Stunde. Das wird dich aufmuntern.»
«Mal sehen. Ich ruf später noch mal an.»
Im Bad wehte ein Geruch von frisch gemähtem Gras durchs Fliegenfenster, während sie sich die Zähne putzte. Sie sah sich im Spiegel an. Ihre Haut war trocken und unterden Augen leicht rötlich blau verfärbt. Keine besondere Verschlechterung – sie war ja auch erst dreiundzwanzig –, aber anders als noch vor einem Jahr. Auf ihrem Gesicht lagen Schatten, aus denen Madeleine schließen konnte, wie ihr Gesicht später einmal aussehen würde.
Unten arrangierte Phyllida im Ausguss des Wäscheraums gerade Blumen. Die Glasschiebetüren zur Veranda waren offen, ein gelber Schmetterling flatterte zwischen den Büschen umher.
«Guten Morgen», sagte Phyllida. «Wie hast du geschlafen?»
«Schlecht.»
«Neben dem Toaster liegen Englische Muffins.»
Madeleine trottete verschlafen durch die Küche. Sie nahm einen Muffin aus der Tüte und versuchte ihn mit den Fingern zu zerteilen.
«Benutz eine Gabel, Liebes», sagte Phyllida.
Doch es war zu spät: Die obere Hälfte riss ungleichmäßig ab. Madeleine steckte die ungleichen Hälften in den Toaster und drückte den Hebel nach unten.
Während der Muffin getoastet wurde, goss sie sich eine Tasse Kaffee ein und setzte sich an den Küchentisch. Als sie wach genug war, sagte sie: «Mummy, ich muss heute Abend nach New York, eine
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