Die Liebeshandlung
dem Essen nahmen sie ihn mit in Loews Casino, eine amerikanische Spielbank, und gaben ihm Anfangsgeld. Vereinbart wurde, die Gewinne fifty-fifty zu teilen. Diesmal, entweder mit Glück oder Verstand, schlug Leonard sich anfangs gut. Er hatte eine kleine Strähne. Bald lag er mit tausend Dollar im Plus. An dem Punkt nahm die Nacht einen wilderen Verlauf. Sie verließen das Casino und besuchten eine Reihe von Bars. Die Freundinnen der Banker waren noch dabei, vielleicht aber auch schon gegangen. Oder er war inzwischen mit einer anderen Gruppe von Bankern unterwegs. Irgendwann ging er dann wieder zu Loews. Der Croupier dort benutzte ein einziges Kartenspiel. Trotz oder gerade wegen seiner Manie schaffteLeonard es, die Karten zu zählen und genau im Kopf zu behalten. Womöglich war er jedoch nicht verschwiegen genug über das, was er im Schilde führte. Nach einer Stunde kam der Saalchef und warf ihn mit der Aufforderung, nie wiederzukommen, hinaus. Mittlerweile war Leonard bei fast zweitausend Dollar. Und hier setzte seine Erinnerung aus. Den Rest der Geschichte stückelte Madeleine aus den Polizeiberichten zusammen. Nachdem man Leonard bei Loews hinausgeworfen hatte, war er in einem «Etablissement» im selben Viertel gesehen worden. Irgendwann am nächsten Tag landete er mit einer Gruppe von Leuten, die die Schweizer Banker gewesen sein konnten oder auch nicht, im Hôtel de Paris. Dann, während sie in ihren nebeneinanderliegenden Zimmern tranken, hatte Leonard gewettet, er könne von einem Balkon zum nebenan gelegenen springen. Zum Glück war es nur der erste Stock. Er hatte sich dazu die Schuhe ausgezogen, schaffte es aber nicht. Er rutschte ab, schlug mit der Wange und dem Mund gegen das Balkongeländer und prallte unten auf. Blutend, halb wahnsinnig, war er zum Strand hinuntergeirrt. Irgendwann hatte er sein Hemd ausgezogen und war schwimmen gegangen. Als er dann aus dem Meer gekommen war und versuchte, wieder ins Hotel zu gehen, hatte die Polizei ihn aufgegriffen.
Das französische Antipsychotikum wirkte tatsächlich Wunder. Binnen zweier Tage war Leonard wieder bei klarem Verstand. Er war so zerknirscht, so entsetzt über sein Verhalten und den Versuch, seine Dosierung zu ändern, dass er sich bei Madeleines Besuchen entweder dauernd entschuldigte oder vor Reue stumm war. Sie forderte ihn auf, die Sache zu vergessen. Sie sagte, es sei nicht seine Schuld.
Während der gesamten Dauer von Phyllidas Aufenthalt in Monaco, vom Augenblick ihrer Ankunft bis zur Abreise eineWoche später, sagte sie nicht ein einziges Mal: «Das habe ich dir ja gleich gesagt.» Dafür liebte Madeleine ihre Mutter. Sie war überrascht zu sehen, wie lebenspraktisch Phyllida war, wie gelassen sie blieb, als klarwurde, was für ein «Etablissement» Leonard da besucht hatte. Als Madeleine es erfuhr, musste sie wieder weinen. Doch Phyllida hatte mit verbissenem Humor gesagt: «Wenn das das Einzige ist, worüber du dir in deiner Ehe Sorge machen musst, hast du Glück gehabt.» Weiter sagte sie, sehr menschlich: «Er war nicht bei Verstand, Maddy. Du darfst nicht mehr daran denken. Vergiss es einfach und sieh nach vorn.» Es schien Madeleine, als spräche Phyllida aus persönlicher Erfahrung, als wäre die Ehe ihrer Eltern komplizierter, als sie je vermutet hatte.
Phyllidas Besuche im Krankenzimmer allerdings waren unbeholfen. Sie und Leonard kannten sich ja noch kaum. Sobald Leonard «aus dem Gröbsten raus war», flog sie nach New Jersey, um das Haus für Madeleines und Leonards spätere Ankunft herzurichten.
Madeleine blieb im Hotel wohnen. Da sie nichts anderes zu tun hatte, als französisches Fernsehen auf den zwei Kanälen zu schauen, die das Gerät in ihrem Zimmer empfing, und entschlossen war, nie wieder einen Fuß ins Casino zu setzen, verbrachte sie Stunden im Musée Océanographique. Es tröstete sie, in dem Unterwasserlicht zu sitzen und die Meeresgeschöpfe durch ihre Aquarien schweben zu sehen. Zunächst aß sie allein im Speisesaal des Hotels, doch ihre Anwesenheit zog zu viel männliche Aufmerksamkeit auf sich. Also blieb sie in ihrem Zimmer, bestellte beim Zimmerservice und trank mehr Wein, als sie gewohnt war.
Sie fühlte sich, als wäre sie in zwei Wochen um zwanzig Jahre gealtert. Sie war keine Braut mehr, nicht einmal mehr eine junge Frau.
An einem heiteren Tag im Mai wurde Leonard entlassen. Wieder einmal, wie im Jahr zuvor, wartete Madeleine vor einem Krankenhaus, während eine Pflegerin ihn im Rollstuhl
Weitere Kostenlose Bücher