Die Liebeshandlung
nach. «Ins Casino. Er hat gesagt, dass er da hinwill.»
«Hören Sie mir zu», sagte Perlmann mit fester Stimme. «Sie müssen Leonard ins nächste Krankenhaus bringen. Er muss von einem Psychiater eingestellt werden. Sofort. Das ist das Erste. Im Krankenhaus wissen die dann schon, wie sie ihn behandeln müssen. Sobald Sie ihn dort haben, geben Sie ihnen meine Nummer.»
«Was, wenn er nicht ins Krankenhaus will?»
«Sie müssen ihn da hinschaffen», sagte Perlmann.
Der Taxifahrer raste mit eingeschaltetem Fernlicht die Corniche hinunter. Die Küstenstraße schlängelte sich hin und her. Manchmal war das Meer vor ihnen, schwarz und leer, und es schien, als könnten sie die Klippen hinunterstürzen, doch dann machte das Auto einen Schlenker, und die Lichter der Stadt tauchten, jedes Mal näher, wieder auf. Madeleine überlegte, ob sie zur Polizei gehen sollte. Sie versuchte, darauf zu kommen, was «manisch-depressiv» auf Französisch hieß. Das einzige Wort, das ihr einfiel,
maniaque
, hörte sich zu gravierend an.
Das Taxi gelangte in das dichtbesiedelte Gebiet rund um den Hafen. Der Verkehr wurde stärker, als sie sich dem Casino näherten. Umgeben von einem Barockgarten und beleuchteten Springbrunnen, war das Casino de Monte-Carlo ein Bau im Stil der Beaux-Arts-Architektur mit phantastischen Türmen wie Hochzeitstorten und einem Kuppeldach aus Kupfer. Lamborghinis und Ferraris parkten in Sechserreihen davor, auf ihren Kühlerhauben spiegelten sich die Lichter des Vordachs. Um eingelassen zu werden, musste Madeleine ihren Pass vorzeigen, da es Bürgern von Monaco gesetzlich verboten war, die Spielbank zu betreten. Sie kaufte sich eine Eintrittskarte für den großen Spielsaal und begab sich hinein.
Sobald sie drin war, verlor sie die Hoffnung, Leonard dort zu finden. Der Grand Prix mochte zwar noch nicht angefangen haben, aber das Casino war voller Touristen. Besser angezogen als die Spieler, die sie in dem Indianercasino gesehen hatte, aber mit dem gleichen wölfischen Hunger im Gesicht, drängten sie sich um die Tische. Drei Saudis mit Sonnenbrille saßen um den Baccara-Tisch. Ein Eins-neunzig-Mannmit Cowboykrawatte warf Craps-Würfel. Eine Gruppe Deutscher, die Männer in Trachtenjankern mit Wildlederkragen, bewunderten die Deckenfresken und Buntglasfenster, sprachen mit vielen rollenden «r». Bei anderer Gelegenheit hätte Madeleine sich ebenfalls dafür interessiert. Aber momentan war ihr jeder Aristokrat oder High Roller einfach nur im Weg. Sie hätte sie am liebsten beiseitegeschubst. Hätte sie am liebsten getreten und verletzt.
Auf die Tische konzentriert, an denen Karten gespielt wurde, arbeitete sie sich langsam in die Mitte des Saales vor. Es wurde zunehmend unwahrscheinlicher, dass Leonard hier war. Vielleicht war er doch mit den Schweizer Bankern essen gegangen. Vielleicht war es am besten, ins Hotel zurückzufahren und zu warten. Sie ging weiter. Und da, auf einem bordeauxroten Samtsessel am Blackjack-Tisch, saß Leonard.
Er hatte irgendetwas mit seinem Haar gemacht – es angefeuchtet oder gegelt, sodass es nach hinten an den Kopf geklatscht war. Und er trug das schwarze Cape.
Sein Stapel Chips war kleiner als die der anderen Spieler. Die Augen starr auf den Croupier gerichtet, beugte er sich aufmerksam vor. Madeleine überlegte, dass es am besten war, ihn nicht zu stören.
Als sie ihn so sah, mit wildem Blick, kostümiert und geschniegelt wie ein Vampir, wurde ihr klar, dass sie die Realität von Leonards Krankheit nie akzeptiert, sie nie ganz an sich herangelassen hatte. Im Krankenhaus, als Leonard sich von seinem Zusammenbruch erholte, war sein Verhalten sonderbar, aber verständlich gewesen. Wie bei jemandem, der nach einem Autounfall unter Schock steht. Aber dies – diese Manie – war etwas anderes. Leonard wirkte wie ein tatsächlich Verrückter, und das ängstigte sie zu Tode.
Maniaque
war gar nicht so falsch. Worauf verwies es denn schließlich, wenn nicht auf Manie?
Ihr Leben lang hatte sie labile Menschen gemieden. Schon in der Grundschule hatte sie sich von den durchgeknallten Kids ferngehalten. In der Highschool war sie den düsteren, selbstmordgefährdeten Mädchen, die Tabletten erbrachen, immer aus dem Weg gegangen. Was hatten Verrückte an sich, dass man sie mied? Bestimmt die Sinnlosigkeit des Unterfangens, vernünftig mit ihnen zu reden, aber auch etwas anderes, so etwas wie eine Angst vor Ansteckung. Das Casino mit seiner summenden, verrauchten Luft erschien wie
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