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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Herz irgendwo in einer Schachtel, im Freien, ungeschützt.
    Oben am Columbus Circle bogen sie von der Eighth Avenue auf den Broadway ab. Leonard zog den Kopf ins Auto zurück, als wollte er neuerlich die Temperatur testen, dann steckte er ihn wieder aus dem Fenster.
    An der Seventy-second Street bog der Fahrer links ein. Ein paar Minuten später fuhren sie den Riverside Drive entlang. Kelly wartete auf dem Bürgersteig vor dem Haus.
    «Entschuldige!», sagte Madeleine beim Aussteigen aus dem Taxi. «Der Zug hatte Verspätung.»
    «Das sagst du immer», sagte Kelly.
    «Es stimmt auch immer.»
    Sie umarmten sich, und Kelly sagte: «Du gehst also mit auf die Party?»
    «Mal sehen.»
    «Du musst. Allein kann ich da nicht hin.»
    Die ganze Zeit stand das Taxi im Leerlauf am Straßenrand. Schließlich stieg Leonard aus. Mit schweren Schritten schaffte er es aus der Sonne in den Schatten des Vordachs.
    Kelly, die eine ziemlich gute Schauspielerin war, lächelte ihn an, als hätte sie nichts von seiner Krankheit gehört undals sähe er aus wie das blühende Leben. «Hi, Leonard. Wie geht’s?»
    Wie üblich behandelte Leonard dies als ernsthafte Frage. Er seufzte und sagte: «Ich bin erschöpft.»
    «
Du
bist erschöpft?», sagte Kelly. «Denk mal an mich! Ich habe Maddy ungefähr fünfzehn Wohnungen gezeigt. Die hier ist es. Wenn ihr diese nicht nehmt, kündige ich euch.»
    «Du kannst uns nicht kündigen», sagte Madeleine. «Wir sind deine Kunden.»
    «Dann kündige
ich
.» Kelly führte sie in die kühle, holzgetäfelte Halle. «Spaß beiseite, Maddy. Ich habe noch ein anderes Angebot, näher an der Columbia, wenn ihr es sehen möchtet. Aber ich bezweifle, dass es so schön ist wie dieses.»
    Nachdem sie sich beim Portier angemeldet hatten, nahmen sie den Aufzug in den elften Stock. Vor der Wohnung stöberte Kelly in ihrer Handtasche nach den richtigen Schlüsseln, was eine Weile dauerte, doch schließlich bekam sie die Tür auf und führte sie hinein.
    Bis jetzt hatte Kelly Madeleine Wohnungen gezeigt, die auf Luftschächte hinausgingen, oder es waren zusammengelegte Sozialwohnungen, winzig und voller Kakerlaken, oder sie rochen nach Katzenpipi. Selbst wenn Madeleine nicht unbedingt aus dem Haus ihrer Eltern hätte ausziehen wollen, hätte die Vierzimmerwohnung, die sie jetzt betrat, sie überwältigt. Sie war ein Klassiker, mit frischgestrichenen weißen Wänden, Stuckzierleisten und Parkett. Das Schlafzimmer war groß genug für ein Doppelbett, die Einbauküche modernisiert, das Arbeitszimmer brauchbar, das Wohnzimmer zu klein, aber verschönert durch einen nicht funktionierenden Kamin. Es gab sogar ein Esszimmer. Die Hauptattraktion jedoch waren die Ausblicke. Verzückt öffnete Madeleine das Wohnzimmerfenster und beugte sichhinaus. Die Sonne, immer noch einige Stunden vor dem Untergehen, brachte die Wellen des Flusses zum Glitzern und tauchte die sonst grauen Palisades in ein helles Rosa. Im Norden sah man die durchscheinenden Spitzen der George Washington Bridge. Vom West Side Highway dröhnte Verkehrslärm herauf. Madeleine schaute hinunter auf das Pflaster vor dem Haus. Es war wirklich sehr weit unten. Plötzlich bekam sie Angst.
    Sie zog den Kopf wieder nach innen und rief Leonard. Als er nicht antwortete, rief sie, schon im Flur, noch einmal.
    Leonard war mit Kelly im Schlafzimmer. Das Fenster war zu.
    Sie verbarg ihre Erleichterung, indem sie den Wandschrank inspizierte. «Das ist mein Schrank», sagte sie. «Ich habe mehr Kleider als du. Du kannst dafür das Arbeitszimmer haben.»
    Leonard schwieg.
    «Hast du das Arbeitszimmer gesehen?»
    «Ich hab’s gesehen», sagte er.
    «Und?»
    «Es ist in Ordnung.»
    «Ich will euch ja nicht drängen, Leute», sagte Kelly, «aber ihr müsst euch in der nächsten, sagen wir, halben Stunde entscheiden. Der andere Makler in meinem Büro will diese Wohnung ab heute Abend zeigen.»
    «Heute Abend?», sagte Madeleine überrumpelt. «Ich dachte, du hättest von morgen gesprochen?»
    «Das hatte er gesagt. Aber er hat es sich anders überlegt. Die Leute sind total scharf auf diese Wohnung.»
    Madeleine sah Leonard an und versuchte, seine Gedanken zu lesen. Dann verschränkte sie entschlossen die Arme. Wenn sie nicht in einen der Präriestaaten ziehen wollten,musste sie die Risiken akzeptieren, die darin lagen, mit ihm in Manhattan zu wohnen. «Okay, ich will sie haben», sagte sie. «Sie ist ideal. Leonard, wir wollen sie haben, oder?»
    Leonard wandte sich an Kelly. «Können

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