Die Liebeshandlung
auf und sagte, Madeleine müsse «den Schaden begrenzen», aber an seinem häufigen Schweigen und den starken Drinks, die er sich einverleibte, während im Fernsehen Habib in karierter Hose über ein weiteres Rollfeld in der Wüste hinkte, wurde deutlich, dass er Madeleines wegen litt.
Nach diplomatischem Vorbild behielt Mitchell die Zügel in der Hand und ließ alle sich abreagieren, bis sie ihn schließlich um Rat fragten.
«Was denkst du, was ich tun soll?», fragte Madeleine ihn drei Tage nach dem Krach mit Alton. Vor Schneiders Party wäre Mitchells Antwort einfach gewesen. Er hätte gesagt: «Lass dich von Bankhead scheiden und heirate mich.» Zumal es nun, da Bankhead nicht erkennen ließ, dass er verheiratet bleiben wollte, und in die Wildnis von Oregon verschwunden war, keine große Hoffnung auf Versöhnung zu geben schien. Wie kann man mit jemandem verheiratet bleiben, der nicht mit einem verheiratet bleiben will? Doch Mitchells Gefühl Leonard gegenüber hatte sich erheblich verändert, seit er mit ihm gesprochen hatte, und er empfand jetzt in beunruhigender Weise so etwas wie Mitgefühl und sogar Zuneigung für seinen einstigen Rivalen.
Thema ihres langen Gesprächs in Schneiders Schlafzimmer war, völlig überraschend, die Religion gewesen. Noch überraschender war, dass diese Diskussion von Bankhead angestoßen wurde. Zunächst erwähnte er den Kurs in Religionswissenschaft, den sie gemeinsam besucht hatten. Er sagte, er sei von vielem beeindruckt gewesen, was Mitchell in dem Seminar geäußert habe. Dann fragte er Mitchell über dessen eigene religiöse Neigungen aus. Dabei hatte er zugleich zappelig und apathisch gewirkt. Es war etwas Verzweifeltes an seiner Fragerei, so streng und bitter wie der Tabak der Zigaretten, die er sich beim Reden ständig drehte. Mitchell sagte ihm, was sich sagen ließ. Er berichtete von seiner eigenen spezifischen Form der religiösen Erfahrung. Bankhead hörte konzentriert und aufmerksam zu. Er schien begierig nach jeglicher Hilfe, die Mitchell ihm anbieten konnte. Er fragte Mitchell, ob er meditiere. Er fragte, ob er in die Kirche gehe. Nachdem Mitchell alles gesagt hatte, was sich sagen ließ, fragte er Bankhead, warum es ihn interessiere. Und da überraschte Bankhead ihn wieder. Er sagte: «Kannstdu ein Geheimnis für dich behalten?» Obwohl sie sich nicht kannten, obwohl Mitchell in vieler Hinsicht der Letzte war, dem Bankhead sich hätte anvertrauen wollen, erzählte er Mitchell von einer kürzlich auf einer Europareise gemachten Erfahrung, die seine Einstellung zu den Dingen verändert hatte. Er sei mitten in der Nacht an einem Strand gewesen, sagte er. Er habe in den Sternenhimmel hinaufgeblickt und plötzlich das Gefühl gehabt, er könnte sich in den Weltraum erheben, wenn er wollte. Von dieser Erfahrung habe er niemandem erzählt, weil er damals nicht bei klarem Verstand gewesen sei, was die Erfahrung tendenziell diskreditiere. Trotzdem, sobald er den Gedanken im Kopf gehabt habe, sei es passiert: Plötzlich sei er im Weltraum gewesen und am Planeten Saturn vorbeigeschwebt. «Es war keineswegs wie eine Halluzination», sagte Bankhead. «Das muss ich betonen. Es fühlte sich an wie der luzideste Augenblick in meinem Leben.» Eine Minute oder zehn Minuten oder eine Stunde – er wusste es nicht – trieb er am Saturn vorbei, untersuchte dessen Ringe und spürte das warme Glühen des Planeten auf seinem Gesicht, und dann war er wieder auf der Erde, am Strand, in einer Welt voller Probleme. Bankhead sagte, diese Vision, oder was es auch sein mochte, sei der ehrfürchtigste Augenblick in seinem Leben gewesen. Er sagte, es habe sich «religiös angefühlt». Er wollte Mitchells Meinung dazu wissen. Sei es in Ordnung, die Erfahrung für religiös zu halten, da sie sich so angefühlt habe, oder werde sie dadurch entwertet, dass er zu der Zeit de facto geistesgestört gewesen sei? Und wenn sie wertlos sei, warum betöre sie ihn immer noch?
Mitchell hatte geantwortet, dass mystische Erfahrungen, soweit er sie verstand, nur in dem Maße bedeutsam seien, wie sie jemandes Auffassung von Realität veränderten unddiese veränderte Auffassung zu einer Veränderung im Verhalten und Handeln führe, zu einem Schwund an Ego.
An diesem Punkt zündete Bankhead sich eine weitere Zigarette an. «Mein Problem ist», sagte er in ruhigem, vertraulichem Ton, «ich bin bereit, den Kierkegaard’schen Sprung zu tun. Mein Herz ist bereit. Mein Hirn ist bereit. Aber meine Beine rühren
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