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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Shandy)
und ein anderes mit Jerome Shilts über dreibändige Romane aus poststrukturalistischer Sicht. Madeleines Beginn an der Columbia sollte, so stellte sich heraus, mit dem des ersten Jahrgangs von Frauen zusammenfallen, die als Studienanfängerinnen an der Columbia University zugelassen wurden, und sie fasste das als gutes Omen auf.
    So gern Madeleine Mitchell um sich hatte und so nah sie sich in diesem Sommer gekommen waren, gab sie doch nichtklar zu erkennen, dass ihre Gefühle für ihn sich maßgeblich verändert hatten. Sie verhielt sich freier, zog sich etwa vor ihm um und sagte nur: «Nicht gucken!» Und er guckte nicht. Er wandte die Augen ab und
hörte
zu, wie sie sich umzog. Jetzt bei Madeleine einen Versuch zu starten erschien ihm unfair. Es hätte bedeutet, ihre Traurigkeit auszunutzen. Von einem Kerl begrapscht zu werden war das Letzte, was sie im Moment brauchte.
    Spät an einem Samstagabend, als Mitchell lesend im Bett lag, hörte er die Tür zum Dachboden aufgehen: Madeleine, die in sein Zimmer kam. Statt sich auf sein Bett zu setzen, steckte sie nur den Kopf herein und sagte: «Ich möchte dir was zeigen.» Sie verschwand. Mitchell wartete, während sie auf dem Dachboden herumfuhrwerkte, Kisten verschob. Ein paar Minuten später kehrte sie mit einem Schuhkarton zurück. In der anderen Hand hielt sie eine wissenschaftliche Zeitschrift.
    «Ta-ta!», sagte sie und reichte ihm die Zeitschrift. «Das hier war heute in der Post.» Es war eine Ausgabe der
Janeite Review,
herausgegeben von M.   Myerson, mit einem Aufsatz von Madeleine Hanna unter dem Titel «Ich dachte, du würdest nie fragen: Einige Gedanken zum
marriage plot
». Ein fabelhafter Anblick, auch wenn zwei Seiten des Aufsatzes durch einen Satzfehler vertauscht waren. Madeleine sah glücklicher aus als seit Monaten. Mitchell gratulierte ihr, worauf sie dazu überging, ihm den Schuhkarton zu zeigen. Er war ganz eingestaubt. Sie hatte ihn beim Packen in einem der Schränke ausgegraben. Er war fast zehn Jahre lang dort gewesen. Auf dem Deckel stand mit schwarzer Tinte «Junggesellinnenüberlebensset» geschrieben. Madeleine erklärte Mitchell, dass Alwyn ihr das Set zu ihrem vierzehnten Geburtstag geschenkt hatte. Sie zeigte ihm alle Dinge darin, dieBen-Wa-Kugeln, den Französischen Kitzler, die Unzuchttreibenden aus Plastik und natürlich den dehydrierten Schwanz, der jetzt schwer zu identifizieren war. Mäuse hatten an dem Grissino herumgeknabbert. Irgendwann im Verlauf all dessen brachte Mitchell den Mut auf zu tun, wozu er mit neunzehn zu ängstlich gewesen war. Er sagte: «Das solltest du nach New York mitnehmen. Es ist genau das, was du brauchst.» Und als Madeleine ihn ansah, streckte er die Arme aus und zog sie zu sich aufs Bett.
    Der Rausch von Eindrücken, die dann folgten, überforderte Mitchells Fähigkeit, sie unmittelbar zu genießen. Während er Madeleine Schicht um Schicht auszog, sah er sich der körperlichen Realität von Dingen gegenüber, die er sich lange ausgemalt hatte. Eine unbehagliche Spannung stellte sich zwischen ihnen ein, mit dem Ergebnis, dass sich nach einer Weile keiner von beiden mehr ganz real fühlte. War das wirklich Madeleines Brust, die er in den Mund nahm, oder etwas, was er geträumt hatte oder gerade eben träumte? Weshalb schien sie jetzt, wo sie endlich leibhaftig vor ihm lag, so geruchlos und vage fremd? Er gab sich alle Mühe, machte beharrlich weiter. Steckte den Kopf zwischen Madeleines Beine und öffnete den Mund, als wollte er singen, aber das Gebiet war irgendwie wenig einladend, und ihre antwortenden Rufe klangen weit entfernt. Er fühlte sich sehr allein. Das enttäuschte ihn weniger, als dass es ihn verwirrte. Irgendwann, als wiederum Madeleine an seiner Brustwarze saugte, stöhnte sie und sagte: «Du musst wirklich anfangen, ein Deo zu benutzen, Mitchell.» Bald darauf schlief sie ein.
    Die Vögel weckten ihn früh, und ihm fiel ein, dass First Day war. Schnell zog er sich an, küsste Madeleine auf die Wange und machte sich auf zum Meeting House der Quäker. Der Weg führte durch das Viertel der Hannas mit den großenälteren Häusern, durch das hoffnungslos malerische Prettybrook selbst mit seinem Marktplatz und dem Standbild von Washington bei der Überquerung des Delaware (gut zwanzig Kilometer entfernt) und weiter durch eine Reihe schattiger Straßen und an einem Golfplatz entlang, bis die Stadt endete und das Schlachtfeld anfing. Die Szenerie zog an Mitchell vorüber, als betrachtete

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