Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
Vom Netzwerk:
Kieswege mit einem harten grauen Licht. Alte Männer spielten in der Nähe Boule, gingen in die Knie und ließen Silberkugeln aus den Fingerspitzen fliegen. Die Kugeln klickten angenehm, wenn sie aneinanderstießen. Das Geräusch von befriedigendem, sozialdemokratischem Ruhestand.
    Claire hatte ein leichtes Sommerkleid und Sandalen angezogen. Sie rasierte ihre Beine nicht; die Härchen darauf, fein und blond, nahmen an den Oberschenkeln ab. Offenbar hatte sie Mitchell verziehen. Er seinerseits gab sich alle Mühe, liebenswert zu sein.
    Unter dem Einfluss des Weins besserte sich Mitchells Stimmung allmählich, sein Jetlag ließ vorübergehend nach. Sie liefen zur Seine hinunter, am Louvre vorbei und durch die Tuilerien. Müllmänner in unmöglich sauberen Anzügen fegten Parks und fegten Rinnsteine.
    Larry sagte, er wolle das Abendessen machen, und Claire, die nicht mehr koscher kochte, führte sie zu einem Wochenmarkt in der Nähe ihrer Wohnung. Larry tauchte zwischen den Ständen unter, liebäugelte mit Obst, Gemüse, schnüffelte an Käsesorten. Er kaufte, ständig mit irgendeinem Bauern im Gespräch, Karotten, Fenchel und Kartoffeln. Am Geflügelstand blieb er stehen und legte sich eine Hand auf die Brust. «O Mann,
poularde de Bresse
! Das mache ich!»
    Wieder bei Claire zu Hause, wickelte Larry schwungvoll das Hühnchen aus. «
Poulet bleu.
Seht ihr? Die haben diese blauen Füße. Daran erkennt man, dass sie aus der Bresse stammen. Solche haben wir im Restaurant immer gegrillt. Die sind sagenhaft.»
    Er machte sich, schnippelnd, salzend und Butter schmelzend, in der winzigen Küche an die Arbeit, nahm drei Pfannen auf einmal in Betrieb.
    «Ich schlafe mit Julia Child», sagte Claire.
    «Wohl eher mit dem ‹galoppierenden Gourmet›», sagte Mitchell.
    Sie lachte. «Schatz?», sagte sie und küsste Larry auf die Wange. «Ich gehe ein wenig lesen, solange du es mit deinem Hühnchen treibst.»
    Claire ließ sich mit ihrem Sammelband auf dem Bett nieder. Von einer neuen Müdigkeitsattacke erfasst, wünschte Mitchell, auch er könnte sich hinlegen. Stattdessen machte er den Reißverschluss seines Rucksacks auf und wühlte unter der Kleidung nach den Büchern, die er mitgenommen hatte. Er hatte versucht, mit möglichst wenig Gepäck zu reisen, und alles nur zweifach eingepackt, Hemden, Hosen, Socken, Unterwäsche, plus einen Pullover. Aber als es darum ging, den Stapel Lesestoff zu sichten, war er schwach geworden und hatte ein Geheimlager eingerichtet, das die
Nachfolge Christi,
die
Bekenntnisse des heiligen Augustinus,
Teresa von Avilas
Seelenburg,
Mertons
Dunkle Nacht der Seele
,
Meine Beichte und andere religiöse Schriften
von Tolstoi, eine trotz allem ziemlich dicke Taschenbuchausgabe von Pynchons
V
sowie ein gebundenes Exemplar von
Gottheit Biologie: für ein theistisches Verständnis der Evolution
enthielt. Schließlich, vor der Abreise aus New York, hatte er sich im St.   Mark’s Bookshop noch ein Exemplar von
Paris – ein Fest fürs Leben
gekauft. Sein Plan war, die Bücher, sobald er eines ausgelesen hatte, nach Hause zurückzuschicken oder an jemand, der sich dafür interessierte, zu verschenken.
    Jetzt zog er den Hemingway heraus, setzte sich an den Esstisch und las an der Stelle, wo er aufgehört hatte, weiter:
     
    Die Geschichte schrieb sich selbst, und ich hatte große Mühe, mit ihr mitzuhalten. Ich bestellte noch einenRum St.   James und beobachtete das Mädchen, wenn ich einmal aufblickte oder wenn ich den Bleistift mit einem Spitzer anspitzte und die aufgerollten Späne in den Unterteller unter meinem Glas rieselten.
    Ich habe dich gesehen, Schöne, und jetzt gehörst du mir, auf wen auch immer du wartest, selbst wenn ich dich niemals wiedersehe, dachte ich. Du gehörst mir, und ganz Paris gehört mir, und ich gehöre diesem Notizbuch und diesem Bleistift.
     
    Er versuchte sich vorzustellen, wie es gewesen sein mochte, Hemingway im Paris der zwanziger Jahre zu sein. Diese so klaren, scheinbar schnörkellosen, aber doch komplexen Sätze zu schreiben, die die Art und Weise, wie die Amerikaner Prosa schrieben, für immer verändern sollten. So etwas zu tun und dann irgendwo essen zu gehen, wo man wusste, wie man zu seinen
huîtres
den jahreszeitlich genau richtigen Wein bestellen konnte. Ein Amerikaner in Paris, damals, als es noch okay gewesen war, Amerikaner zu sein.
    «Liest du das tatsächlich?»
    Als Mitchell aufblickte, starrte Claire ihn vom Bett aus an.
    «Hemingway?», sagte sie

Weitere Kostenlose Bücher