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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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angekommen, merkte er, dass es regnete.
    Er hatte den Moment vorausgesehen, in dem er aus dem warmen, trockenen Reich der Untermietwohnung verbannt würde, damit Larry Claire aus ihren Kleidern schälen und sein Gesicht zwischen ihre fohlenhaften Beine stecken konnte. Dass er es vorausgesehen hatte, aber außerstande gewesen war, es zu verhindern, schien ihm, als er sich zur Avenue Rapp aufmachte, nur seine grundlegende Dummheit zu bestätigen. Die Dummheit eines intelligenten Menschen, aber trotzdem.
    Der Regen wurde stärker, während Mitchell die Häuserblocks der Umgebung ablief. Das Viertel, das von Claires Fenster aus so charmant ausgesehen hatte, kam ihm jetzt, auf der Straße, im Regen, weniger charmant vor. Die Rollläden der Geschäfte waren heruntergelassen und mit Graffiti bedeckt, die Natriumdampflampen der Straßenbeleuchtung verbreiteten ein verruchtes Licht.
    Hatten sie das College nicht gerade
hinter
sich? Waren sie nicht gerade fertig mit diesem kindischen Herumpolitisieren? Aber nein, sie wohnten bei einer College-Frauenforscherin, die ein Auslandsjahr in Übersee verbrachte. Unter dem Vorwand einer kritischen Beurteilung des Patriarchats akzeptierte Claire unkritisch alles, was sie vom Kult der neuen Theorien aufschnappte. Mitchell war froh, aus ihrer Wohnung heraus zu sein. Er war glücklich draußen im Regen! Es war die Sache wert, ein Hotel zu bezahlen, wenn er sich dafür keine Sekunde länger anhören musste, wie Claire ihre Plattitüden vom Stapel ließ! Wie hielt Larry es nur aus mit ihr? Wie konnte Larry so eine Freundin haben? Was war mit ihm los?
    Es konnte natürlich sein, dass etwas von dem Zorn, den Mitchell gegen Claire verspürte, die Falsche traf. Es konnte sein, dass seine Wut in Wirklichkeit einer anderen Angehörigen des weiblichen Geschlechts galt, nämlich Madeleine. Den ganzen Sommer über, während er in Detroit gewesen war, hatte er sich der Illusion hingegeben, dass Madeleine wieder zu haben sei. Der Gedanke, dass Bankhead verlassen worden war und litt, hatte jedes Mal unweigerlich seine Stimmung gehoben. Er hatte sogar das Argument bemüht, es sei
gut
, dass Madeleine die Freundin von Bankhead gewesen war. Sie musste lernen, solche Kerle endgültig abzuschreiben. Sie musste, genau wie er, erwachsen werden, bevor sie zusammen sein konnten.
    Und dann, es war noch keine achtundvierzig Stunden her, am Abend vor seinem Abflug nach Paris, hatte der Zufall ihm Madeleine an der Lower East Side in die Arme getrieben. Er und Larry waren mit dem Zug von Riverdale in die Stadt gefahren. Sie saßen gegen zehn Uhr im Downtown Beirut, als plötzlich, aus dem Nichts, Madeleinemit Kelly Traub hereingeschneit war. Larry hatte bei einer Aufführung, in der Kelly mitspielte, einmal Regie geführt. Die beiden fingen sofort an zu fachsimpeln, sodass Madeleine und Mitchell sich selbst überlassen blieben. Zunächst hatte Mitchell befürchtet, Madeleine wäre ihm noch böse, aber sogar bei der schwachen Beleuchtung in der heruntergekommenen Bar sah er deutlich, dass dem nicht so war. Sie schien wirklich froh, ihn zu sehen, und in seinem Hochgefühl hatte er ein paar Tequila gekippt. Von da an nahm die Nacht ihren Lauf. Sie verließen das Downtown Beirut und gingen woandershin. Mitchell wusste, es war hoffnungslos. Seine Abreise nach Europa stand unmittelbar bevor. Aber es war Sommer in New York, die Straßen so heiß wie in Bangkok, und Madeleine drängte sich an ihn, als sie in einem Taxi durch die Stadt fuhren. Das Letzte, woran Mitchell sich erinnerte, war, wie er vor der Tür einer Bar im Greenwich Village stand und Madeleine verschwommen in ein anderes Taxi steigen sah, allein. Er war unbändig glücklich. Aber als er wieder in die Bar ging und mit Kelly redete, fand er heraus, dass Madeleine in Wirklichkeit keineswegs zu haben war. Sie und Bankhead hatten sich gleich nach der Graduierung versöhnt und waren jetzt im Aufbruch nach Cape Cod.
    Das Einzige, was ihn den Sommer hindurch aufgeheitert hatte, war also eine Illusion gewesen. Jetzt, aus lauter Enttäuschung, versuchte Mitchell, Madeleine zu vergessen und sich auf die Tatsache zu konzentrieren, dass die letzten drei Monate ihm wenigstens ein bisschen Geld in die Taschen gespült hatten. Er war nach Detroit zurückgekehrt, wo er mietfrei wohnen konnte. Seine Eltern waren glücklich, ihn zu Hause zu haben, und Mitchell war glücklich, dass seine Mutter ihn bekochte und seine Sachen wusch, während erdie Kleinanzeigen sichtete. Es war

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