Die Liebeshandlung
und tunnelartigen Nasenlöcher. Das Einzige, was den alten Leuten ein Lächeln abgewinnen konnte, war er: nur einmal seine Wangen zu tätscheln oder mit der Hand durch sein gewelltes Haar zu fahren. Gelangweilt von den endlosen Essen, durfte Mitchell, während die Erwachsenen ihren Kaffee tranken, zur Vitrine hinaufgehen, sich mit dem Löffel ein Pfefferminz vom Teller neben der Kasse nehmen und sich die Nase an der Scheibe platt drücken, hinter der alles lag, was man an verschiedenen Zigarrensorten kaufen konnte. In den Cafés auf der anderen Straßenseite spielten Männer Backgammon oder lasen griechische Zeitungen, genau wie sie es in Athen oder Konstantinopel gemacht hätten. Jetzt waren seine griechischen Großeltern tot, Greektown auf dem besten Weg zu einem kitschigen Touristenziel und Mitchell einer dieser Vorstädter, nicht griechischer als die künstlichen Weintrauben, die von der Decke hingen.
Seine Hilfskellneruniform bestand aus einer braunen Polyesterschlaghose,einem braunen Polyesterhemd mit Monsteraufschlägen und einer orangefarbenen, auf die Polster der Sitzecken abgestimmten Polyesterweste. Jeden Abend waren Weste und Hemd so voller Fett, dass seine Mutter sie über Nacht waschen musste, damit er sie am nächsten Tag wieder anziehen konnte.
Eines Abends kam Coleman Young, der Bürgermeister, mit einer Gruppe von Mafiosi herein. Einer, ein elender Säufer, richtete seinen verschlagenen Blick auf Mitchell.
«He, du da, Motherfucker. Komm her.»
Mitchell ging hin.
«Mach mein Glas voll, Motherfucker.»
Mitchell füllte sein Glas.
Der Mann ließ seine Serviette auf den Boden fallen. «Meine Serviette ist runtergefallen, Motherfucker. Heb sie auf.»
Der Bürgermeister sah nicht sehr glücklich aus mit dieser Tischgesellschaft. Aber solche Essen gehörten nun mal zu seinen Aufgaben.
Zu Hause zählte Mitchell sein Trinkgeld und erklärte seinen Eltern, wie billig Indien sein würde. «Man braucht nur ungefähr fünf Dollar am Tag. Vielleicht noch weniger.»
«Wie wär’s mit Europa?», sagte Dean.
«Wir fahren doch nach Europa.»
«London ist ein schönes Plätzchen. Oder Frankreich. Ihr könntet nach Frankreich fahren.»
«Wir
fahren
nach Frankreich.»
«Ich weiß nicht, mit diesem Indien», sagte Lillian kopfschüttelnd. «Was man sich da nicht alles holt.»
«Ich nehme an, ihr seid euch bewusst», sagte Dean, «dass Indien zu den sogenannten blockfreien Staaten gehört. Du weißt, was das bedeutet? Es bedeutet, dass sie sich nicht zwischenden USA und Russland entscheiden wollen. Sie finden Russland und Amerika moralisch gleichwertig.»
«Wie sollen wir euch da drüben überhaupt erreichen?», fragte Lillian.
«Ihr könnt Briefe an American Express schicken. Dort werden sie gelagert.»
«England, das ist ein schönes Plätzchen», sagte Dean. «Weißt du noch, unsere Englandreise damals? Wie alt warst du?»
«Da war ich acht», sagte Mitchell. «Das ist es ja, England kenne ich schon. Larry und ich wollen was ganz anderes sehen. Etwas Nichtwestliches.»
«Nichtwestlich, was? Da habe ich eine Idee. Warum fahrt ihr nicht nach Sibirien? Einen dieser Gulags aus dem Reich des Bösen besichtigen?»
«Ja, Sibirien wäre tatsächlich interessant.»
«Was ist, wenn du krank wirst?», sagte Lillian.
«Ich werde nicht krank.»
«Woher willst du wissen, dass du nicht krank wirst?»
«Noch was, was ich dich fragen will», sagte Dean. «Wie lange soll die Reise dauern? Zwei, drei Monate?»
«Eher acht», sagte Mitchell. «Je nachdem, wie lange unser Geld reicht.»
«Und
danach
, was willst du dann machen? Mit deinem Bachelor in Religionswissenschaft.»
«Vielleicht an der Divinity School Theologie studieren.»
«An der Divinity School?»
«Es gibt zwei Richtungen. Man wird entweder Geistlicher oder Theologe. Ich würde den wissenschaftlichen Zweig nehmen.»
«Und was dann? Irgendwo Professor werden?»
«Mag sein.»
«Was bringt das, Theologieprofessor?»
«Keine Ahnung.»
Dean wandte sich an Lillian: «Er findet das nebensächlich. Gehaltsgruppe. Unwichtig.»
«Ich glaube, du gäbst einen wunderbaren Professor ab», sagte Lilian.
«Ach ja?», sagte Dean und dachte darüber nach. «Mein Sohn, der Professor. Ich vermute, damit kriegst du eine Festanstellung.»
«Wenn ich Glück habe.»
«Unkündbare Stellen sind eine gute Sache. Sehr unamerikanisch. Aber angenehme Arbeit, wenn man da rankommt.»
«Ich muss los», sagte Mitchell. «Ich bin spät dran fürs Restaurant.»
Spät
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