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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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Generation seines Vaters die Bösewichter seien. Diese alten Säcke, die nie einen Teller abgewaschen oder Socken zusammengelegt hatten – die seien das wirkliche Ziel feministischer Rage. Aber das war nur der erste Sturm gewesen. Jetzt, in den achtziger Jahren, waren Diskussionen über die gerechte Aufteilung von Haushaltspflichten oder über den Sexismus, der sich dahinter verbarg, dass man einer «Dame» die Tür aufhielt, alte Kamellen. Die Bewegung war weniger pragmatisch und desto theoretischer geworden. Die Unterdrückung der Frau durch den Mann war nicht mehr nur eine Sache bestimmter Taten, sondern einer Sicht- und Denkweise. Die Collegefeministinnen lästerten über Wolkenkratzer, behaupteten, das wären Phallussymbole. Dasselbe sagten sie von Weltraumraketen, obwohl Raketen, wenn man seinen Grips ein bisschen anstrengte, ja nicht wegen des Phallozentrismus, sondern wegen der Aerodynamik diese Form hatten. Hätte eine vaginal gestaltete Apollo 11 es etwa auf den Mond geschafft? Der Penis war ein Geschöpf der Evolution. Er besaß einen nützlichen Aufbau, um bestimmte Dinge erledigt zu bekommen. Und wenn er bei Blütenstempeln genauso funktionierte wie bei den Besamungsorganen des Homo sapiens, wer konnte schon etwas dafür außer der Biologie? Aber nein – alles Große oder groß Angelegte, jederlange Roman, jede ausladende Skulptur, jedes turmhohe Gebäude war nach Meinung der «Frauen», die Mitchell vom College her kannte, ein Ausdruck männlicher Unsicherheit über die Größe ihres Penis. Auch auf Männerfreundschaften hackten sie ständig herum. Kaum hatten zwei oder mehr Typen Spaß miteinander, regte sich irgendeine über das «Männerbonding» auf, als wäre es etwas Pathologisches. Was machte eigentlich den Spaß bei Frauenfreundschaften aus, wollte Mitchell wissen. Vielleicht konnten sie ein bisschen Frauenbonding gut gebrauchen.
    Derart schäumend und vor sich hin schimpfend, fand Mitchell sich an der Seine wieder. Er begann, eine Brücke zu überqueren – den Pont Neuf. Die Sonne war untergegangen, die Straßenlaternen sprangen an. Auf halber Strecke über die Brücke, in einer der halbkreisförmigen Sitzecken, hatte sich eine Gruppe Teenager versammelt. Einer mit aufgeplustertem Jean-Luc-Ponty-Haar schrammelte auf einer Akustikgitarre, während seine Freunde zuhörten, rauchten und eine Flasche Wein herumreichten.
    Mitchell beobachtete sie im Vorübergehen. Als Teenager war er nie so ein richtiger Teenager gewesen.
    Ein Stückchen weiter lehnte er sich über die Brüstung und starrte auf den dunklen Fluss. Sein Zorn war verraucht, einem allgemeinen Missmut über sich selbst gewichen.
    Wahrscheinlich stimmte es, dass er Frauen zum Objekt machte. Er dachte immerzu an Frauen, oder? Er drehte sich wirklich oft nach ihnen um. Und galt dieses ganze Denken und Schauen nicht ihren Brüsten, Lippen, Beinen? Weibliche Wesen waren, was Mitchell betraf, Gegenstand höchsten Interesses und intensivster Prüfung. Und doch glaubte er nicht, dass eine Formulierung wie
zum Objekt machen
abdeckte, was diese verführerischen – aber intelligenten! – Wesen ihn empfindenließen. Was Mitchell empfand, wenn er ein schönes Mädchen sah, war eher wie etwas aus einer griechischen Sage, war wie beim Anblick von Schönheit in einen Baum verwandelt werden, auf der Stelle, für immer, aus reinem Begehren. Es war unmöglich, für ein Objekt zu empfinden, was Mitchell für Mädchen empfand.
    Excusez-moi:
Frauen.
    Es gab noch einen anderen Punkt, der für Claire sprach. Die ganze Zeit, während sie Mitchell vorgehalten hatte, er mache Frauen zum Objekt, hatte er insgeheim
sie
zum Objekt gemacht. Sie hatte so einen Wahnsinnsarsch! Er war so rund und vollkommen und
lebendig
. Jedes Mal, wenn Mitchell einen verstohlenen Blick darauf warf, überkam ihn das seltsame Gefühl, er starre zurück, Claires Arsch sei nicht zwangsläufig einverstanden mit dem Feminismusgerede seiner Besitzerin, sondern genieße es sehr, dass er bewundert wurde, mit anderen Worten: Claires Arsch habe seinen eigenen Kopf. Außerdem war Claire die Freundin seines besten Freundes. Sie war tabu. Das steigerte ihre Anziehungskraft enorm.
    Ein im Lichterglanz erstrahlendes Ausflugsschiff fuhr unter der Brücke hindurch.
    Je mehr Mitchell über Religionen las, die Weltreligionen im Allgemeinen und das Christentum im Besonderen, umso klarer wurde ihm, dass die Mystiker alle das Gleiche sagten. Erleuchtung entsprang dem Auslöschen des Begehrens. Das

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