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Die Liebeshandlung

Die Liebeshandlung

Titel: Die Liebeshandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Eugenides
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zwei Patisserien vorbei. In den Schaufenstern boten sich die farbenprächtigen Gebäckstückchen in krausen Papierschalen dar wie Adlige im Rüschenkleid. Er hatte, abgesehen von ungefähr elf Dollar, noch achtzig Franc übrig und war entschlossen, vor dem nächsten Tag keinen weiteren Scheck einzulösen. Er überquerte die Avenue Rapp, ging in einenPark und fand dort einen Metallstuhl, auf dem er im Schatten sitzen konnte und nichts bezahlen musste.
    Es war wärmer geworden, der Regen zog Fetzen blauen Himmels nach sich. Wie am Tag zuvor bewunderte Mitchell die Schönheit der Umgebung, die Bepflanzungen und Wege des Parks. Eine fremde Sprache aus den Mündern der Menschen zu hören erlaubte ihm die Vorstellung, sie alle führten intelligente Gespräche, sogar die Frau mit Stirnglatze, die aussah wie Mussolini. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Es war halb zehn. Er würde Larry nicht vor fünf Uhr nachmittags treffen.
    Mitchell hatte sich (besonders schlau, wie er glaubte) seine Reiseschecks auf zwanzig Dollar stückeln lassen. Niedrige Werte würden ihn zwischen den Besuchen beim American-Express-Büro zur Sparsamkeit anhalten. Einhundertvierundsechzig einzelne Zwanzig-Dollar-Schecks ergaben allerdings ein dickes Bündel. Zusammen mit dem Reisepass und sonstigen Dokumenten stopften die Schecks seine Fliegenfischer-Börse voll und bildeten einen bemerkenswerten Wulst in seiner Hose. Wenn er sie an die Hüfte schob, sah es weniger nach einer Schamkapsel, dafür aber mehr nach einem Kolostomiebeutel aus.
    Ein himmlischer Geruch nach warmem Brot wehte von einer Bäckerei auf der anderen Straßenseite herüber. Mitchell hielt die Nase in die Luft wie ein Hund. In seinem
Let’s go: Europa
entdeckte er die Adresse einer Jugendherberge in Pigalle, nahe Sacré-Cœur. Es war ein langer Marsch, und als er ankam, war er verschwitzt und benommen. Der Mann hinter dem Empfangstisch, einer mit vernarbten Wangen und getönter Fliegerbrille, sagte Mitchell, die Herberge sei ausgebucht, und schickte ihn zu einer billigen Pension weiter unten an der Straße. Dort kostete ein Zimmer 330   Francdie Nacht, also fast 50   Dollar , aber Mitchell wusste nicht, was er sonst machen sollte. Nachdem er bei einer Bank weiteres Geld gewechselt hatte, nahm er sich ein Zimmer, stellte seinen Rucksack ab und ging hinaus, um zu retten, was von seinem Tag zu retten war.
    Pigalle war sowohl zwielichtig als auch touristisch. Ein Vierergrüppchen Amerikaner mit Südstaatenakzent stand vor dem Moulin Rouge, die Ehemänner schielten auf die Fotos der Tänzerinnen, während eine der Frauen kokettierte: «Ihr zwei Süßen kauft uns was bei Cartier, dann lassen wir euch in die Show.» Jenseits des Jugendstil-Eingangs der Métro-Station lockte ein hüftwackelndes Strichmädchen die Autofahrer an. Wo auch immer Mitchell durch die gewundenen Gassen des Viertels streifte, die weiße Kuppel von Sacré-Cœur blieb stets in Sicht. Schließlich stieg er den Hügel hinauf und durchschritt die massiven Kirchentüren. Das Gewölbe schien ihn emporzuziehen wie Flüssigkeit in einer Spritze. Als er eine Kirchenbank betrat, machte er es den anderen Gotteshausbesuchern nach, bekreuzigte sich und kniete nieder – Gesten, die ihn sogleich mit Andacht erfüllten. Es war erstaunlich, dass all das immer noch so funktionierte. Mitchell schloss die Augen und sprach fünf oder sechs Minuten lang das Jesusgebet.
    Auf dem Weg nach draußen blieb er im Souvenirladen hängen und schaute sich den Krimskrams an. Es gab goldene Kreuze, silberne Kreuze, Skapuliere in verschiedenen Farben und Formen, etwas, was eine «Veronica» hieß, etwas anderes mit dem Namen «Schwarzes Skapulier der sieben Schmerzen Mariae». Rosenkränze schimmerten in der Vitrine, schwarze Perlenschnüre, jede eine kreisförmige Aufforderung mit einem dicken Kruzifix am Ende.
    Neben der Kasse lag an prominenter Stelle ein kleinesBuch. Es hieß
Mutter Teresa   – Etwas Schönes für Gott
und zeigte auf dem Umschlag ein Foto von ihr, auf dem sie die Augen gen Himmel gerichtet hatte. Mitchell schlug es auf und las die erste Seite:
     
    Ich möchte zunächst erklären, daß Mutter Teresa verlangt hat, es dürfe nichts in der Art einer Biographie oder einer biographischen Studie über sie verfaßt werden. «Das Leben Christi», schrieb sie mir, «wurde zu seinen Lebzeiten nicht aufgeschrieben, und doch vollbrachte er das größte Werk auf Erden: Er erlöste die Welt und lehrte die Menschheit, seinen Vater zu

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