Die Liebeslist
ihrem Gemach. Zumindest machte es den Eindruck, denn sie ließ sich bewusst nicht blicken. Sosehr er auch lauschte auf ihren forschen Schritt und ihr helles Lachen, sosehr er auch Ausschau hielt nach ihrer zierlichen Gestalt, dem schimmernden Haar, dem farbenfrohen Gewand vor dem Steingrau der Burg – nichts war zu hören oder zu sehen. Vielleicht war es auch besser so, grübelte er, bemüht, die schwere Last zu verdrängen, die ihm auf der Brust lag. Am nächsten Tag würde der Spuk vorüber sein, und der Alltag würde beginnen können. Lieber einen Überfall der walisischen Stämme abwehren als sich mit einer Rosamund de Longspey herumzanken. Da war zumindest damit zu rechnen, dass er am Ende der Sieger war.
Aber er hatte doch gewonnen! Zähneknirschend wehrte er sich gegen das rastlose Gefühl, das Kribbeln am Rücken, das lästiger war als Mückenstiche bei einem strapazenreichen Feldzug.
Wenn nur das Bild von ihren tränenfeuchten Augen verschwände! Könnte er sie doch bloß aus seinem Herzen verbannen! Doch sie war da bei jedem Atemzug, bei jeder Entscheidung, die er traf. Sie verfolgte ihn wie ein Schatten die Gänge entlang. Und das sollten die berühmten Liebeswonnen sein? Bisher hatten sie ihm nur Ungemach bereitet und ihn schlimmer als eine Schwertwunde gequält.
Lärmend und sichtbar in Feierlaune strömten nunmehr die Burgwehrmänner in den Rittersaal, um das Nachtmahl einzunehmen. Die Dienstmägde knallten schon Krüge voll Ale auf die Tische.
Master Pennard näherte sich der Ehrentafel und verneigte sich tief. „Ist es recht, Mylord, wenn ich auftragen lasse?“
„Wir warten noch auf die Lady“, brummte Gervase, auf dessen Stirn allmählich eine Unmutsfalte erschien. Die Countess hatte sich bereits auf ihrem Platz niedergelassen, hoheitsvoll und kühl, als habe sie schon vergessen, wie sie ihn am Morgen noch mit ihren messerscharfen Vorhaltungen zurechtgewiesen hatte. Mittlerweile unterhielt sie sich mit Hugh. Düster spähte Gervase hinüber zur Treppe. Er freute sich wahrlich nicht auf diese abschließende Begegnung, doch man konnte wohl zumindest noch einmal speisen, gemeinsam und in aller Ruhe, wenn auch nicht eben freundschaftlich. Da galt es eben, ein letztes Mal die Form zu wahren. Vom nächsten Tag an würden die Damen dann ja fort sein.
Ja, sapperlot, wo blieb sie denn bloß? Die hungrigen Männer wurden allmählich schon unruhig.
Schließlich riss ihm der Geduldsfaden. „Master Pennard“, befahl er dem Vogt, „Seid so gut und meldet Lady Rosamund, dass ich sie …“ Er verkniff sich den Rest. Vielleicht war das kein guter Ansatz. „Sagt ihr, sie sei zur Abendtafel geladen, ich würde mich über ihr Erscheinen sehr freuen.“ Er überlegte kurz. „Formuliert es wie eine Bitte, nicht wie ein Gebot.“
„Zu Befehl, Mylord.“
Der Burgvogt tat wie geheißen, war aber prompt zurück. Allein. Und sichtlich aufgeregt.
„Nun?“
„Mylady lässt Euch bestellen …“
„Ja, was denn nun?“, grollte Gervase und beugte sich gespannt vor. „Los, heraus mit der Sprache!“
„Sie lässt ausrichten, sie setzt sich nicht in ihrem eigenen Burgsaal mit einem Dieb an einen Tisch.“
„Ach, sagt sie das?“, entgegnete Gervase gefährlich sanft.
Im nächsten Moment schon war es mit der Sanftheit vorbei; das letzte bisschen Geduld zerstob wie Rauch im Wind. Hatte er ihr nicht goldene Brücken gebaut? Hatte er nicht mehr Verständnis bewiesen, als er es je für möglich gehalten hätte? Angesichts der Spielchen, die sie mit ihm getrieben hatte, wäre sie von so manchem Mann kurzerhand in den Kerker gesperrt worden und Schluss! Den ganzen Tag schon fühlte er sich wegen ihrer Tränen, wegen ihrer bebenden Lippen aus dem Gleichgewicht geraten. Jetzt wagte sie es schon wieder, ihn herauszufordern! Und das als Gefangene in ihrer eigenen Burg! Dabei konnte er eigentlich ihren Gehorsam erzwingen! Aber nein, sie musste ihn wieder einmal vor den Kopf stoßen und seine Einladung brüsk ablehnen!
Wortlos sprang er auf, verließ das Podium und lief die Treppe hinauf, zwar weiterhin beherrscht, wie man es von einem Lord wohl erwarten konnte, aber mit flammendem Blick.
„Oje!“, bemerkte Petronilla betreten, denn solche Ausbrüche waren ihr nicht geheuer.
Hugh sah sie misstrauisch an. „Wisst Ihr etwa mehr als ich, Lady?“
„Ich? Woher denn? Meine Tochter ist ihre eigene Herrin.“
„Mir war, als hättet Ihr geschmunzelt.“
„Ach, bewahre!“ Dabei lächelte sie.
„Und was nun,
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