Die Liebeslist
derweil tief und fest.
Einmal mehr war Clifford in den Besitz von Gervase Fitz Osbern übergegangen.
Was folgte, war eine zügige, routinierte Aufteilung von Truppen, Tross und Tieren. Dies geschah im Handumdrehen, war es doch vor ein paar Wochen schon einmal so abgelaufen. Zwar begegneten die Bediensteten in Küche und Burgsaal, in Molkerei und Ställen dem neuen Herren mit äußerst überraschten Mienen, doch zumindest gab es keinen Aufruhr. Lieber einen Fitz Osbern, bekanntermaßen ein gerechter Mann, als einen anderen, bei dem man nicht wusste, woran man war. Bis Mittag hatten die Soldaten ihre Quartiere bezogen und die Pferde in den Ställen untergebracht. Die Köchin musste ein ganzes Wildschwein rösten, galt es doch, eine große Anzahl hungriger Mäuler zu stopfen. Sir Thomas wartete schon auf Befehle von jemandem, der seiner Meinung nach der bessere Burgherr war, während der Küchenjunge Tom den verdienten Lohn für seine Hilfsbereitschaft einsteckte und nach einem anerkennenden Schulterklopfen zufrieden grinsend von dannen zog.
Zum Schluss sandte Gervase den Burgvogt zur Kemenate, damit er die beiden adeligen Damen zu ihm in den Burgsaal begleitete. Er staunte nicht schlecht, dass die zwei – vor allem Rosamund – ihm noch nicht auf den Leib gerückt waren, denn der Einmarsch war ja schon einige Zeit her. Ach, einerlei. Sie tat sowieso immer, was sie für richtig hielt. Im Angesicht der Niederlage vermied sie es offenbar, ihm über den Weg zu laufen.
Anfangs hatte er erwogen, sie gleich in ihrer Unterkunft aufzusuchen, dies Vorhaben jedoch als ungebührlich verworfen. Die Kemenate war die Domäne der Damen; da wollte er nicht stören, sonst hätte das seinem Triumph womöglich einen allzu plumpen Anstrich verpasst. Nein, die große Halle musste es sein. Er sorgte dafür, dass der Saal von Soldaten und Gesinde geräumt war, wollte er Rosamund doch weitere Demütigungen nach Möglichkeit ersparen. Es reichte ja, dass seine Leute die Wehrgänge besetzten und er die Herrschaft übernommen hatte. Er wusste, die Niederlage an sich kränkte sie genug; da brauchte er selbst nicht nachzuhelfen. Er hatte vor, ihr seine Pläne mitzuteilen und diese dann kurzerhand umzusetzen. Dennoch: Während er wartete, merkte er, wie er immer unruhiger wurde. Weshalb dauerte das alles so lange? Wieso ging sie ihm nicht schon erbost an den Kragen? Warum hatte sie ihm nicht bereits alle möglichen Missetaten bis hin zum Meuchelmord an den Kopf geworfen?
Er sank auf einen Lehnstuhl und wartete, Hugh still und heimlich als Deckung hinter sich. Ob er einen Becher Wein trinken sollte? Nein, lieber nicht; es gab ja nichts zu feiern. Ungeduldig trommelte er mit den Fingerspitzen auf die grob geschnitzte Armlehne. Was trieb sie denn bloß? Ließ sie ihn etwa absichtlich warten? Wollte sie ihn verärgern? Er hatte sie doch in aller Form um ihr Kommen gebeten!
Allmählich hielt er es nicht mehr aus. Er wollte schon aufstehen und sie selbst holen, da drang von draußen herein das Geräusch von Schritten auf steinernen Stufen, und schon erschien auf dem Treppenabsatz Master Pennard. Hugh stupste Gervase an. Die Damen schritten die Treppe hinunter, beide prächtig gewandet, als warte ein Festbankett auf sie. Für einen Wimpernschlag war Gervase erheitert; Bewunderung trat an die Stelle der Ungeduld. Eindeutig, die Verzögerung kam nicht von ungefähr. Man wollte möglichst großen Eindruck schinden – mit dem Ziel, ihm einmal mehr unter die Nase zu reiben, wie ungepflegt er nach einer Woche Feldlager herumlief.
Nun, bei ihm jedenfalls hinterließ dieser Auftritt keinen Eindruck. Schließlich hatte sie alle seine Einigungsvorschläge in Bausch und Bogen abgelehnt.
Dann stand Rosamund vor ihm auf dem Ehrenpodest. Er konnte den Blick nicht von ihr wenden. Wenngleich er sich noch nie sonderlich für Poesie begeistern konnte – in seiner bewegten Jugend hatte er lieber ein Schwert als einen Gedichtband in der Hand gehalten –, kam er doch nicht umhin, ihre umwerfende Schönheit zu bemerken sowie die Kleidung, die sie ausgewählt hatte, um diesen Liebreiz voll zur Geltung zu bringen. Da war sie, Rosamund de Longspey, angenommene Tochter des mächtigen Earl of Salisbury. Nicht irgendein unscheinbares Mädchen aus niederem Landadel, sondern eine junge Dame mit Niveau und Stil.
Wäre nur ihr Gesicht nicht so bleich gewesen! Und waren das etwa Tränenspuren auf ihren zarten Wangen? Sie sah ihn zwar mit festem Blick an, aber ihre Miene blieb
Weitere Kostenlose Bücher