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Die Liebeslotterie

Die Liebeslotterie

Titel: Die Liebeslotterie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Nicoll
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geräuschvoll in sein Taschentuch und tupfte sich die Augen trocken. Er sagte: «Ich wusste, es war richtig, herzukommen, Herr Bürgermeister. Sie sind ein Mann, der sich auskennt im Leben. Ich hatte nur nicht geahnt, dass Sie das Studium so teuer bezahlt haben.»
    Tibo war plötzlich sehr auf seine Schreibtischunterlage konzentriert.
    «Nein, nein. Hören Sie», sagte Cesare, «eben haben Sie zu mir als Freund gesprochen. Nun hören Sie mich an, als Ihren Freund. Ich bin ein einfacher Mann, und ich werde alt. Aber ich bin strega aus einer langen Abstammungslinie von streghe. Warum sollte sich ein so hübsches Mädchen wie Maria in mich verlieben? Weil ich einen Liebeszauber angewendet habe, deswegen. Ich kann für Sie dasselbe tun. Ein paar Haare von einem Kamm, mehr brauche ich nicht. Es ist ganz leicht.»
     
    Tibo schnaufte, ohne den Kopf zu heben. Der Gedanke war aberwitzig. Maria liebte Cesare, weil er Cesare war oder weil er ihr ein gutes Leben bieten konnte – nicht wegen irgendeines dummen Zaubers. Außerdem wollte Tibo keinen Liebestrank. Tibo wollte einen Fluch – einen bösen, ätzenden, rächenden Fluch, damit sie litt, wie er gelitten hatte, ein Fluch, der sie verletzen und an ihr nagen und sie niemals aus seinen Klauen lassen würde.
    «Das ginge auch», sagte Cesare.
    «Was?»
    «Was Sie eben sagten.»
    «Herr Cesare, ich habe nichts gesagt.»
    «Wie dem auch sei, ich sollte gehen. Sie haben viel zu tun, und ich muss mich um mein Geschäft kümmern und eine Feier organisieren.»
    Sie gingen zusammen die grüne Marmortreppe hinunter, gaben einander auf dem Rathausplatz die Hand und verabschiedeten sich höflich, ohne noch einmal auf böse Flüche zu sprechen zu kommen.
    Aber als Tibo auf dem Rückweg in sein Arbeitszimmer an Agathes leerem Schreibtisch vorbeikam, fiel sein Blick auf ihre Handtasche, die neben dem Stuhl auf dem Boden stand, und auf die Bürste, die herausschaute. Der gute Tibo Krovic, der nicht an Gott oder die Macht der Heiligen glaubte und nicht einmal an die heilige Walpurnia, bückte sich und zupfte ein paar Haare aus der Bürste. Es war eine Schändung, er wusste es. Tibo Krovic war kein Mann, der in Damenhandtaschen wühlt, schon gar nicht in der von Agathe Stopak. Und nun hatte er das Unentschuldbare getan. Tibo hasste die arme, verschrumpelte Gestalt, zu der er geworden war. Er hasste Agathe, die das aus ihm gemacht hatte.
    Tibo wickelte sich die Haare um den Finger, küsste sie und bildete sich ein, Agathes Duft zu riechen. Zum ersten Mal seit drei Jahren berührte er sie, aber es war das Gespenst einer Berührung.
    Er hörte das unverwechselbare Klappern ihrer Absätze auf den Fliesen der Hintertreppe. Als Frau Stopak ihren Schreibtisch erreicht hatte, war die Tür zum Arbeitszimmer längst wieder sicher verschlossen.
    Agathe setzte sich. Sie drehte sich um und schaute zur Zwischentür. Sie entdeckte neben der Kaffeemaschine die beiden Kaffeetassen. Sie ärgerte sich über den unausgesprochenen Befehl: «Spülen Sie das bitte ab, Frau Stopak.» Sie verdrehte die Augen zur Decke und machte «tse». Sie stützte die Ellenbogen auf den Tisch und beugte sich vor. Zum hunderttausendsten Mal fiel ihr die Heftzwecke auf, die langsameinrostete und sie an das Bild erinnerte, das einst dort hing.
    «Bing!» Indem sie die Spitze eines lackierten Fingernagels unter die winzige Zimbel schob, entlockte sie ihr einen winzigen Ton. Agathe seufzte gelangweilt und schwang auf dem Drehstuhl herum. Ihr Fuß stieß gegen die Handtasche, die geöffnet unter dem Schreibtisch stand. Sie schaute hinunter, entdeckte die Haarbürste und schob sie hinein. Sie schloss die Tasche. Irgendetwas stimmte nicht.
    So wie ein Vogel, der nicht in sein Nest zurückkehrt, wenn er etwas verändert vorfindet, spürte Agathe, dass irgendetwas nicht stimmte. Sie schaute in die Schubladen. Sie hob die Handtasche vom Boden auf, öffnete sie, warf einen prüfenden Blick ins Portemonnaie. Nichts.
    «Bing!» Sie hatte sich angewöhnt, gegen die Heftzwecke zu schnipsen. Dann erinnerte sie sich. Manchmal erinnerte sie sich tagelang nicht, selbst wenn sie von morgens bis abends vor der Heftzwecke gesessen hatte, ohne sie zu sehen. Und dann kamen die alten Gedanken aus unerfindlichem Grund zurück, und ihr fiel ein, dass sie vergessen hatte, sich zu erinnern.
    «Bing!» Sie erinnerte sich, auf ihrem Bett gelegen zu haben – auf Hektors Bett   –, während er sie malte, das erste von vielen Aktportraits, die er angefangen

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