Die Liebeslotterie
damals, als dieser Kohlenlaster beim Rückwärtsfahren das Denkmal von Admiral Graf Gromyko gerammt hatte, aber Agathe gab sich forsch und unbeeindruckt. «Tibo, reißen Sie sich zusammen, und setzen Sie sich hin!» Sie zeigte auf den Stuhl, auf dem tags zuvor Cesare Platz genommen hatte, und schaute zu, wie Tibo sich die Schläfe rieb und mit der Zunge nach herausgebrochenen Zähnen suchte. «Tibo, ich habe keine Zeit für diesen Unsinn.»
Bürgermeister Krovic spürte, wie seine Lippe unmäßig anzuschwellen begann, aber er schaffte es zu sagen: «Nun haben Sie mich schon zum zweitenmal ‹Tibo› genannt.»
«Ich hätte nie damit aufhören sollen.»
«Und Sie sind zum zweitenmal hereingekommen, ohne anzuklopfen.»
«Ich habe keine Zeit für Formalitäten», antwortete sie. «Dies ist ein Notfall.»
Tibo hörte auf, sich das Kinn zu reiben, und sagte: «Schießen Sie los. Was immer es ist, sagen Sie es mir, ich werde helfen.»
Also stellte sie ihre Frage. «So kann es nicht weitergehen», erklärte sie. «Sie denken, ich wüsste nichts, aber ich weiß Bescheid.Sie denken, ich sehe es nicht, aber ich sehe. Ich will Ihnen dabei helfen, es hinter sich zu bringen.» Sie nahm seine Hand. «Nur einmal, Tibo, einmal und dann nie wieder. Um es zu beenden. Um den Vorhang fallen zu lassen.»
Der gute Bürgermeister Krovic saß für eine lange Zeit schweigend da. Er sah ein bisschen verärgert aus, ein bisschen schockiert, und er lauschte auf das Pochen in seiner Schläfe, bis Agathe irgendwann sagte: «Sagen Sie etwas. Sprechen Sie mit mir.»
«Raus», sagte er. «Raus aus meinem blödigen Büro.»
Schnell stand Agathe auf. Da war ein Blitzen in Tibos Augenwinkeln, das ihr bekannt vorkam. Sie hatte es bei Hektor gesehen, und sie hatte gelernt, sich davon fernzuhalten. Sie eilte aus dem Zimmer und setzte sich wieder an ihren Schreibtisch.
«Und machen Sie die blödige Tür zu!», schrie Tibo. Zum Glück saß sie längst wieder an ihrem Platz und tippte, als er sagte: «Hündin.»
Tibo sagte noch ganz andere Sachen, als Agathe außer Hörweite war. Er war so wütend aufgestanden, dass der Besucherstuhl umgekippt war. Tibo ignorierte ihn und wankte um den Schreibtisch auf seinen Sessel zu, wobei er stöhnte wie ein Bär. Er versetzte dem Papierkorb einen Tritt. Er hatte es nicht beabsichtigt, der Korb hatte ihm einfach im Weg gestanden und war mit seinem Fuß kollidiert. Es klang wie das Platzen einer Trommel, und Tibos Wut explodierte und ließ ihn ein zweites Mal zutreten. Der Papierkorb prallte von der Wand ab, und noch einmal und noch einmal, bis er Tibos Schienbein traf und Tibo aufhörte. Er ließ sich in seinen Sessel fallen und wütete weiter. «Diese Hündin! Du lieber Gott, falls sie noch einmal hereinkommt, werde ich sie mit ihrem eigenen, stinkendenSchlüpfer erdrosseln. Kein blödiges Gericht würde mich dafür verurteilen! Blödiges kleines Flittchen! Sie denkt, sie hätte mich im Sack. Hält mich für einen blödigen Pudel, den man einfach auf den Arm nimmt und wieder absetzt!»
Tibo saß in seinem Sessel, knirschte mit den Zähnen und klammerte sich an die Armlehnen, dass ihm die Hände wehtaten. Er stieß den Atem durch die Nase aus, bis er sich langsam wieder beruhigte, sein Kiefer weniger wütend mahlte und der Schmerz in den Händen ihn zum Loslassen zwang, und bald war von seiner Wut nichts mehr übrig als ein Brennen in der Kehle und ein vages Gefühl von Scham.
Da war eine Spur aus aufgerissenen Umschlägen, zerknüllten Papieren und Bleistiftspänen auf dem Teppichboden. Tibo sah ein, dass er besser für Ordnung sorgen sollte. Er griff sich den blechernen Papierkorb und begann, ihn mit Drücken und Ziehen und Boxen wieder einigermaßen in Form zu bringen. Die Tätigkeit war beruhigend, aber von wenig Erfolg gekrönt. Der zuvor runde, glatte und gleichmäßige Papierkorb war völlig verzogen und sah aus wie eine Ananas. Als Tibo ihn auf den Schreibtisch stellte, schaukelte er hin und her. Tibo musste lächeln. Er nahm den Korb, ging auf die Knie und fing an, die würzig duftenden Späne einzusammeln und die Papierbälle mit einem ermutigenden «Plopp» hineinzuwerfen.
Nachdem er den Müll eingesammelt hatte und grunzend wieder in die Höhe kam, eine Hand auf den Schreibtisch gestützt, dachte Tibo an den Zauber. Wie lange würde es wohl dauern, solch einen Zauber zu fabrizieren? Wie lange würde es dauern, bis er Wirkung zeigte? Zehn Minuten? Spielte die Zeit eine Rolle? Cesare musste den
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