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Die Liebeslotterie

Die Liebeslotterie

Titel: Die Liebeslotterie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Nicoll
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Dunkelheit heraus: «Wissen Sie, eigentlich sind Sie ganz und gar nicht wie die anderen. Tibo Krovic, ich glaube, ich habe nach all der Zeit endlich mein besonderes Reiskorn gefunden.»

 
    DAS GEISSBLATT verschwendete sich an die Nachtluft, und trunkene Motten warfen sich wie besinnungslos gegen die Straßenlampen, als Tibo durch den Kopernikuspark nach Hause ging. Als er das Gartentor am Anfang des blaugekachelten Pfades erreicht hatte, schlug er vorsichtig einen Bogen um die Glocke, außerdem hatte er extra die Haustür nicht abgeschlossen, um beim Heimkommen keinen Lärm zu machen und Agathe nicht zu wecken. Aber sie erwartete ihn bereits, sie kam ihm entgegengesprungen und umtänzelte ihn freudig. Ihre Verwandlung war abgeschlossen.
    Während der Stunden von Tibos Abwesenheit hatte sie, wie angekündigt, ihre Kleider ausgezogen, und nun war sie ganz und gar ein Dalmatiner. Sie wedelte glücklich mit dem Schwanz und sagte: «Ich wusste, dass du es bist, ich wusste, dass du es bist. Ich habe dich in die Straße einbiegen hören.»
    «Nein, hast du nicht.»
    «Doch, und außerdem hat die Glocke am Gartentor dich verraten.»
    «Ich habe die Glocke nicht berührt.»
    «Sie fängt vor Glück zu schwingen an, wenn du vorbeigehst. Wusstest du das nicht, Tibo?»
    «Das wusste ich nicht», antwortete er. Es gelang ihm nicht, seine Trauer zu verbergen. «Ich gehe jetzt ins Bett.»
    Als er hinaufstieg, blieb Agathe am Fuß der Treppe stehen und sagte: «Ich liebe dich, Tibo Krovic.»
    «Ich liebe dich auch, Agathe.»
    «Ja, aber ich liebe dich, wie es dir gebührt, ich liebe wie eine Hündin, die nichts für ihre Liebe verlangt außer der Erlaubnis, dich noch mehr zu lieben.»
    Tibo sagte: «Ich habe dich geliebt wie ein Hund, seit ich denken kann. Willst du wieder auf dem Küchenboden schlafen, oder kommst du mit ins Bett?»
    Agathe gab keine Antwort, und Tibo legte sich allein hin, mitten auf die Tagesdecke, die seine Mutter einst genäht hatte. Er ließ die Vorhänge offen, damit die Sonne ihn am nächsten Morgen sanft wecken könnte. Er schaute an sich herab und in den Spiegel an der Kleiderschranktür, der ihm seine Schuhsohlen zeigte. Er war schlaflos.
    Nach einer Weile hörte Tibo, wie Agathe die Treppe heraufkam. Ihre schwarzen Zehennägel klackerten über das Parkett. Sie hockte sich auf die Schwelle und beobachtete ihn schweigend. Er sah sie an und sagte nichts. Er klopfte einladend auf die Matratze. Agathe näherte sich mit gesenktem Kopf seiner Hand, die über die Bettkante hing, und fing an, sie abzulecken. Sie kletterte aufs Bett und legte sich über seine Füße. Das einfallende Mondlicht ließ ihre weiße Haut silbrig schimmern und die schwarzen Flecken hervortreten, mit denen sie übersät war. Tibo streichelte sie sanft. «Ich bin sehr froh», sagte er, «dass die Verwandlung in einen Hund dich nicht der Sprache beraubt hat.»
    «Ach, Tibo, sei nicht albern. Alle Hunde können sprechen. Wir entscheiden uns meistens bloß dagegen. Wir hören lieber zu, als selbst etwas zu sagen. Es ist eine Art zu lieben.»
    «Gibt es noch andere Arten?»
    «Ja, Tibo.» Und dann wurde es Morgen.

 
    ALS ER ERSCHÖPFT und in die Laken verdreht aufwachte, zu spät, um die Tram zur Arbeit zu erwischen, lag Agathe neben ihm. Ihr Mund war geöffnet, und ihre Zunge war hinter den großen, weißen Zähnen sichtbar, während sie atmete. Er ließ sie schlafen und bereitete das Frühstück zu, das er dann mit den Fingern an sie verfütterte, während sie im Bett über ihm lag und er sie zwischen den Happen auf die Nase küsste.
    «Ich muss jetzt zur Arbeit», sagte er schließlich.
    «Warum musst du zur Arbeit?», fragte sie, und weil Dalmatiner die Dinge viel klarer sehen und Tibo keine vernünftige Antwort einfiel, blieb er noch ein bisschen liegen.
    «Ich muss jetzt zur Arbeit», sagte er schließlich.
    «Ja, das ist wohl wahr», sagte Agathe. «Soll ich dich begleiten?»
    «Nein, besser nicht. Ich glaube, Peter Stavo hätte dafür kein Verständnis.»
    «Er hat Hunde nie leiden können», sagte Agathe.
    So fuhr Tibo allein in die Stadt, und obwohl es schon fast ein Uhr war, als er am Goldenen Engel vorbeikam, beschloss er, auf einen Kaffee hineinzugehen. Der morgendliche Ansturm war vorüber, der mittägliche hatte noch nicht eingesetzt, und Tibo stellte sich an seinen gewohnten Platz neben dem Stehtisch an der Tür.
    Einige Augenblicke später versetzte sich ein Kellner in ein langsames Glissando und näherte sich dem

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