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Die Liebeslotterie

Die Liebeslotterie

Titel: Die Liebeslotterie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Nicoll
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überquellende Obstkörbe zeigten oder üppige Mädchen mit viel zu leichter Kleidung, schimmerten über jeder Haustür, außer über der des Hauses mit der Nummer 43.   Hier war das Glas äußerst schlicht, abgesehen von den schwarzen Lettern XLIII. Die Haustür am Ende des Gartenpfades stand offen, und unter dem eisernen Türklopfer steckte ein Zettel mit der Einladung: «Herein, Krovic!»
    Tibo ließ den Türklopfer einmal donnern, fing das herausrutschende Papier auf und betrat den hallenden Flur, nicht, ohne sich immer wieder mit einem «Hallo?» anzukündigen.
    In der Finsternis war das Haus unendlich groß, ein riesiges, nicht auszulotendes Gebilde aus Schatten und Echos, angedeuteten Perspektiven und verschlossenen Türen. Tibo blieb am Fuß einer gigantischen Treppe stehen, die man offenbar aus dem Wrack eines gesunkenen Ozeandampfers entwendet hatte, und rief in die Finsternis hinauf: «Hallo? Yemko? Yemko Guillaume? Ich bin es, Tibo Krovic», bis hinter ihmeine Tür aufging und ein buttergelbes Rechteck aus Licht auf den Boden fiel.
    «Da oben brauchen Sie mich nicht zu suchen», sagte Yemko. «Das Obergeschoss ist für mich seit vielen Jahren schon terra incognita. Ich glaube, da oben gibt es siebzehn Zimmer. Manchmal sehe ich sie in meinen Träumen.» Er streckte die Hand aus. «Ich muss mich für den unwürdigen Empfang entschuldigen, Krovic. Ich habe Sie klopfen hören und bin so schnell geeilt, wie es meine Füße mir erlauben. Treten Sie ein.»
    Aber bevor sie den langen, langsamen Weg ins Zimmer antraten, zog Yemko fragend eine Augenbraue hoch. «Hatte ich gefragt? Ob Sie allergisch gegen Schuppentiere sind?»
    «Ja, haben Sie», sagte Tibo, «und soweit ich weiß, obgleich ich nie einem Schuppentier begegnet bin, besteht keine solche Allergie.»
    «Sie sind nie einem Schuppentier begegnet? Was für ein seltsam behütetes Leben Sie doch geführt haben. Da müssen wir Abhilfe schaffen.»
    Auf dem Regal am hinteren Ende des abgedunkelten Zimmers befand sich das Präparat einer ausgestopften Manguste, die sich im Kampf in eine blasse Kobra verbissen hatte. Als seine Augen sich ans Halbdunkel gewöhnt hatten, entdeckte Tibo eine zweite, die um einen trockenen Ast herumtanzte, und eine dritte, der eine Kobra an die Füße sprang. Insgesamt ein halbes Dutzend Mangusten – eine angestaubte Gavotte von Tod und Hass, ein erstarrter Wald aus sich drehenden und windenden, die Zähne bleckenden, giftigen Gegnern.
    «Sehr ungewöhnlich», kommentierte Tibo.
    «Absolut», sagte Yemko. «Sie müssen wissen, ich habe sie von einem Schuldner bekommen.»
    Yemko spitzte die Lippen und machte ein Zwitschergeräusch,und wie versprochen löste sich ein Schuppentier aus seinem dunklen Regal, schüttelte den Kopf und schob den klappernden, knochigen Körper an den erstarrten Kobras vorbei.
    «Darf ich vorstellen: Leonidas.» Und mit einer angedeuteten Verbeugung zu beiden Seiten fügte er hinzu: «Herr Bürgermeister, Leonidas, das Schuppentier; Leonidas, Bürgermeister Tibo Krovic.»
    Leonidas hob erwartungsvoll den Kopf, und Yemko kitzelte ihn an den rosa Schweineohren. «Jaaa, das gefällt dir, was?», gurrte er. «Wissen Sie, man räuchert die Schuppen des Schuppentiers als Heilmittel gegen Syphilis.»
    «In einer Pfeife?»
    «Nein, wie Fisch. Was danach passiert, ist mir unbekannt. Werden sie gekaut? Als Tee getrunken? Reibt man sie auf die befallenen Stellen? Wer weiß.»
    Yemko bückte sich, um seinem Gefährten wieder zuzugurren und an dessen kleinen, dicken Öhrchen zu zupfen. «Aber wir werden nicht zulassen, dass diese bööösen Männer das mit dem kleinen Leonidas machen, was? Nein, das werden wir nicht zulassen. Böse, stinkende Männer.»
    In einer Ecke stand ein Schreibtisch, an dem Yemko gesessen hatte, bevor er an die Tür gekommen war. Der größte Teil des Zimmers lag im Dunkeln, aber Yemkos Schreibtisch wurde von zwei verstellbaren Lampen hell erleuchtet. Ein Vergrößerungsglas war über einer kleinen Schraubzwinge angebracht, der Sorte Gerätschaft, die die Fischer im Winter benutzen, wenn sie die Köder für die kommende Saison vorbereiten. In einem gläsernen Tintenfass leuchtete lila Tinte, der Rest des Schreibtischs lag unter einer Schneewehe aus Reiskörnern verborgen.
    Yemko deutete ganz beiläufig darauf. «Ein Hobby, wissenSie. Möchten Sie es einmal sehen?» Er dirigierte Tibo mit einladender Geste zum Stuhl und rückte das Vergrößerungsglas in Position. «Ich bin Anfänger», fügte er

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