Die Liebeslotterie
Zeit haben Sie mir Ihre Hilfe angeboten. Soweit ich mich erinnern kann, sind wir uns damals im Museum begegnet, und Sie sagten …»
Yemko hob einen Finger, um Tibo zum Schweigen zu bringen. «Da ich Sie sehr gut kenne», sagte er, «ist es ausgeschlossen, dass ein Mann von Ihrer Stellung und Reputation jemals in eine Lage geraten würde, in der er auf meinen Rat oder meine professionelle Unterstützung angewiesen wäre.»
Tibo sagte: «Aber …»
Yemko zog eine Augenbraue hoch. «Kein ‹Aber›», warnte er. «Es steht vollkommen außer Frage, dass Sie sich nichts haben zuschulden kommen lassen und nur hergekommen sind,um einem bedauernswerten Freund zu helfen.» Yemko zog sanft an den Ohren des Schuppentiers, das zusammengerollt auf seinem riesigen Bauch lag. «Erzählen Sie mir davon. Nein, noch besser, erzählen Sie Leonidas davon. Ich finde, Ihr nächster Satz sollte mit folgenden Worten beginnen: ‹Leonidas, ich habe einen Freund …›»
Yemko lehnte sich zurück, und sein breiter Kopf verschwand im Schatten, der ihn anzuziehen schien wie der Mond die Wassermassen. Die funkelnden Reiskörner auf dem Tisch reflektierten das Licht, alles andere lag in samtener Finsternis.
Tibo sagte: «Leonidas, ich habe einen Freund, der schon seit geraumer Zeit in Frau Agathe Stopak verliebt ist, die Sekretärin des Bürgermeisters von Dot.» Ein erstaunlicheres Geständnis hätte Tibo sich nicht vorstellen können. In wenigen Worten hatte er Yemko Guillaume das unglaubliche Geheimnis der Schöpfung offenbart, die Wahrheit, die er vor allen geheimgehalten hatte, den Grund für die Sterne am Himmel, den verborgenen Motor, der die Jahreszeiten anschob. Yemkos einzige Reaktion war ein höfliches Hüsteln, das eventuell ein Kichern maskieren sollte.
«Bürgermeister Krovic, verzeihen Sie, aber diese Tatsache ist Leonidas seit Jahren bekannt. Ich glaube, zum ersten Mal hat er es von Sarah gehört, der Verkäuferin an der Kasse von Dots zweitbestem Schlachter. Tout Dot weiß seit Jahren Bescheid. Bitte erzählen Sie Leonidas etwas Spannenderes.»
Wäre Tibo enfach nur verblüfft gewesen, hätte er vielleicht nicht weitersprechen können. Aber die plötzliche Erkenntnis, dass sein Geheimnis bekannt war, dass er als Einziger in Dot weit davon entfernt war, es gewöhnlich und normal, ja sogar langweilig zu finden, war mehr als verblüffend. Tibo klappte den Mund ein paarmal auf und zu, und dann erzählte er seineGeschichte. Er war dankbar für die einer Beichte angemessene Dunkelheit ringsum.
Am Ende stieß Yemko einen Seufzer aus; Reisende aus dem hohen Norden würden bestätigen, dass der Seufzer dem Gesang der riesigen Wale im Eismeer ähnelte. Er sagte: «Das ist fast zu übertrieben, um glaubwürdig zu sein. Transmogrifikation ist eine feine Sache – zum Beispiel war Leonidas einmal Tanzlehrer an einer privaten Mädchenschule, bis ihm alles zu viel wurde – und auch die Vorstellung eines Phantomzirkus, der unerkannt im Herzen unserer Stadt existiert, finde ich mehr oder weniger glaubhaft. Ja.» Er drehte die Daumen. «Ja, davon ließe sich eine Jury überzeugen. Aber der Gedanke, der gute Tibo Krovic, Bürgermeister von Dot – oder dessen guter Freund –, könnte wissentlich eine Mordverdächtige bei sich verstecken? Nun ja, das wäre grotesk, geradezu lächerlich, es wäre unvorstellbar.» Entzückt wandte er sich Tibo zu und sagte: «Wissen Sie, was das bedeutet?»
«Es bedeutet, dass niemand es glauben wird und ich mir deswegen keine Sorgen machen muss?»
«Du lieber Himmel, Krovic, nein! Es bedeutet Ruin, Schande, Verlust aller Ämter. Es bedeutet Gefängnis, und vor allem die Aberkennung sämtlicher Pensionsansprüche! Krovic, wenn man könnte, würde man Sie dafür hängen, und im Massenandrang würden alte Frauen und kleine Kinder totgetrampelt. Krovic, Sie sind wie alle anderen. Wie können Sie da Vergebung erwarten?»
Tibo setzte sich schweigend in eine dunkle Ecke. Er wusste, Yemko sprach die Wahrheit. «Sie sagten, Sie würden mir helfen, wenn die Hunde mich hetzen.»
«Und ich habe es ehrlich gemeint. Sind Sie bereit, Ihr Schicksal blind in meine Hände zu legen?»
«Natürlich.»
«Dann werde ich Sie morgen Abend aufsuchen. Gehen Sie zur Arbeit wie gewohnt. Benehmen Sie sich ganz normal. Bewahren Sie die Ruhe. Und nun seien Sie bitte so nett, allein hinauszufinden.»
Tibo stand auf und wandte sich zum Gehen, aber bevor er die Tür hinter sich zugezogen hatte, sagte Yemko aus der
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