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Die Liebeslotterie

Die Liebeslotterie

Titel: Die Liebeslotterie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Nicoll
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Wasser ablaufen und warf einen letzten Blick aus dem Fenster; nun war dort nichts mehr zu sehen außer ihrem vernebelten Spiegelbild, das aus der Scheibezurückstarrte. Der gute Tibo Krovic saß derweil in seiner Küche vor einem Teller mit Hering und Bratkartoffeln, daneben lag eine aufgeschlagene Kladde.
    Er machte sich Notizen – eine Liste der Dinge, die er für Agathe kaufen würde. Süßigkeiten, insbesondere türkischen Honig, weich, cremig und nachgiebig, Inbegriff des Hedonismus, Symbol des Herbstes und unglaublich süß. Außerdem gelierte Früchte, der Würze wegen. Und Ingwerstäbchen. Und Karamellbonbons. Und Bücher   – Homer, in einer Neuausgabe. Nein, in einer alten Ausgabe, alt und liebevoll abgegriffen. Die müsste er erst einmal auftreiben. Und Parfum! «Tahiti» – er konnte sich an den Namen erinnern. Er erinnerte sich jeden Tag daran. Ehrlich gesagt, hatte er «Tahiti» in seine Liste von Lieblingswörtern aufgenommen, die er sich gelegentlich vorsagte. Wenn er es aussprach, hatte er Frau Stopaks Duft in der Nase, und augenblicklich stellte er sich selbst in einer Marineuniform vor; er lag unter einer nickenden Palme im kalkweißen Sand, und Frau Stopak, eine Bougainvillea im Haar, schmiegte sich in seine Armbeuge. Parfum. Und Unterwäsche. Männer kauften Unterwäsche für die geliebte Frau, nicht wahr? Hätte er den Mut? In einen Laden zu gehen und Unterwäsche zu kaufen? Bürgermeister Tibo Krovic? Damenunterwäsche? Tibo strich das Wort «Unterwäsche» energisch aus und betrachtete es nachdenklich. Es war Vorwurf und Herausforderung zugleich. In die nächste Zeile schrieb er «Dessous» und ließ das Wort stehen. Vielleicht wäre es eines Tages so weit. Vielleicht. Tibo schrieb eine ganze Seite in der Kladde voll, aber beim Durchlesen bemerkte er, dass er viele der aufgeführten Geschenke am liebsten selbst bekommen hätte – die lederne Schreibmappe, die er im Schaufenster vom Kaufhaus Braun gesehen hatte, einensilbernen Füller, selbst die aufgeführten Strümpfe waren, er musste es zugeben, eigentlich nicht für Agathe gedacht. Eigentlich nicht. «Ich kann jederzeit noch mehr Dinge hinzufügen, wenn mir welche einfallen», sagte er und schrieb schnell «Lotterielos» in die letzte Zeile.
    Tibo saß lange an seinem Tisch, er las die Liste wieder und wieder durch und wunderte sich über die Bilder, die die Wörter in seinem Kopf wachriefen. Er durchlebte Gefühle, die er nie zuvor gekannt hatte. Selbst beim Lesen des Wortes «Dessous» spürte er ein Zucken in seiner Brust. Er legte den Stift hin und hob den Kopf. «Ich bin verliebt», sagte er in die dunkle Küche hinein. «Frau Stopak, ich liebe Sie. Ich liebe Sie.» Er wiederholte seine Worte, als er den kalten Hering vom Teller in den Mülleimer unter der Spüle schob. Wie seltsam, dass jeder Gedanke ans Essen verschwindet, sobald die Liebe kommt oder geht. Zum Glück bleibt die Liebe manchmal, andernfalls würden wir alle verhungern. «Ich liebe Sie, Frau Stopak.» Tibo sagte es wieder, als er die Treppe hinaufging, und noch einmal, noch einige Male, als er sich ins Bett legte und einschlief.
    Auf der anderen Seite der Stadt, in der Aleksanderstraße, legte Frau Stopak sich in ihr Bett. Sie hatte ein langes Bad genommen, fühlte sich erfrischt und aufgewärmt, und ihre Haut kribbelte. Das seltsame Gefühl war nicht verschwunden. Es hatte sich in der Tram zärtlich an sie gedrückt, am Herd war es um sie herumgestrichen, es hatte seinen Schwanz ins heiße Badewasser gehängt, und nun lag es neben ihr im Bett, so warm und schwer und schnurrend wie Achilles. Agathe fühlte sich schuldig – schuldig und betört. Sie hatte es selbst angelockt. Im nächsten Moment dämmerte der Morgen.
    Das Bett neben ihr war leer. Agathe dachte sich nichts dabei.Sie stieß die Decke zurück und schwang die Beine aus dem Bett. Es war kalt. Sie lief ins Badezimmer, vorbei an Stopak, der schnarchend und sabbernd im Wohnzimmer bäuchlings auf dem Sofa lag. Er lag immer noch reglos da, eine Figur aus Schweineschmalz, als Agathe ins Schlafzimmer zurücktippelte und ihr Nachthemd mit einem Flüstern zu Boden fiel. Sie entstieg dem zerknitterten, warmen Baumwollring, schleuderte ihn mittels einer Zehe in die Luft, fing ihn auf, ballte ihn mit beiden Händen zusammen und warf ihn aufs Bett. In neckischen Posen und mit unbewusster, draller Anmut tänzelte sie durchs Zimmer, halb Turnerin, halb Varietétänzerin. Sie stand vor der alten Kommode mit den

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