Die Liebeslotterie
Richtige.»
Darüber musste Agathe lächeln, und sie lächelte noch, als Tibo ging, um die Rechnung zu bezahlen. Er schien der Richtige zu sein. Ein guter Mann mit einer Vorliebe für Homer. Aber immerhin war er Tibo Krovic, Bürgermeister von Dot. Ganz bestimmt würde er nicht, könnte er nicht, er wollte doch nicht etwa andeuten …
«Bereit?», fragte Tibo, der wieder neben ihr stand.
«Ja, ich bin bereit», sagte Agathe. «Ich bin bereit.» Sie merkte, dass er die Rechnung auf der Untertasse liegen gelassen und mit ein paar Münzen beschwert hatte. Es handeltesich nicht um eine Ausgabe, die er sich von der Stadt als Spesen ersetzen lassen würde.
Sie liefen im Sonnenschein durch die Schlossstraße, zurück über den Ampersand und bis zum Rathausplatz. Wie schon auf dem Hinweg liefen sie untergehakt und ebenso nah beieinander, nur dass es sich jetzt, auf dem Rückweg, anders anfühlte.
«Wir sollten uns hier trennen», sagte Tibo.
«Hier? Wollen Sie heute nicht mehr arbeiten?»
«Doch. Später. Muss vorher ein paar Dinge erledigen. Bis nachher.» Tibo wirkte verlegen.
Worauf du dich verlassen kannst, dachte Agathe. Ich bin wohl gut genug fürs Mittagessen und fürs Händchenhalten … und für einen verstohlenen Blick in den Ausschnitt, wie angenehm, Frau Stopak. Aber zur Arbeit komme ich lieber allein, Frau Stopak. Vielen Dank, Frau Stopak. Aber sie sagte nur: «Schön», und dann klapp-klapperte sie wütend und innerlich fluchend die Treppe zum Büro hinauf. «Ich bin der Richtige? In der Tat! Tja, denken Sie bloß nicht, Sie könnten sich einfach so mit mir vergnügen, Herr von und zu Krovic!», schäumte Agathe auf der Treppe still vor sich hin, und im Büro knallte sie ihre Handtasche erbost auf den Schreibtisch und schaufelte wütend das Kaffeepulver in die Kaffeemaschine.
Wenn Frau Agathe Stopak in diesem Moment aus dem Fenster gesehen hätte, hätte sie Tibo Krovic unten auf dem Rathausplatz gesehen, wie er am Brunnen stand und sich ratlos am Kopf kratzte. Das Wasser war tiefer, als er vermutet hatte, und dort, auf dem Grund, lag Frau Stopaks blaue Emaillebrotdose. An der Wasseroberfläche löste sich gerade ein einsamer, aufgedunsener Kräcker auf. Tibo zog seinSakko aus und legte es vorsichtig auf links zusammen, so, wie er es als Achtjähriger gelernt hatte, um es an einer sauberen Stelle auf den Boden zu legen. Er faltete sich den Hemdsärmel hoch, kniete sich an den Brunnenrand und fing an, nach der Brotdose zu fischen. Bürgermeister Tibo Krovic hatte immer schon ein besonders feines Gespür für Würde gehabt, und ihm war klar, dass er in seiner jetzigen Pose – Kopf nach unten, Hosenboden in der Höhe – alles andere als heldenhaft wirken musste. In der Tat erinnerte sein Anblick an die verzweifelt unkomischen Kurzfilme, die im Palazz Kinema vor dem Hauptfilm liefen.
Das Wasser reichte ihm jetzt bis an den Hemdsärmel, trotzdem konnte er die Dose mit den Fingerspitzen nur streifen. Sie rutschte über den Brunnenboden und kam ein Stückchen näher. Diesmal gelang es Tibo, einen Finger unter den Deckel zu haken, die Dose heraufzuziehen und abtropfen zu lassen. Darin befand sich Brotmatsch, den Tibo in einen Geranientrog kippte. Mit seinem riesigen, grünen Taschentuch wischte er die letzten Teigreste aus den Ecken. Tibo nahm sein Sakko und machte sich auf den Weg zurück ins Bürgermeisterbüro, wo Frau Stopak über alle Maßen erfreut schien, ihre Brotdose zurückzubekommen. «Damit waren Sie beschäftigt?», flötete sie. «Vielen Dank, Herr Bürgermeister. Ich dachte schon … Ach nein, nichts.»
«Sagen Sie es mir. Was dachten Sie?»
«Nichts. Gar nichts. Ich habe Kaffee gekocht, möchten Sie einen?»
«Nein, danke», sagte Tibo. «Ich muss an die Arbeit.» Von diesem Augenblick an wusste Tibo Krovic, der nie zuvor eine Frau geliebt hatte, dass er Agathe Stopak liebte. Er merkte es so zweifelsfrei, wie er einen Elefanten in seiner Küche bemerkthätte. Nicht, dass Tibo jemals einen gesehen hätte, aber wenn etwas so groß und so grau und so faltig war, konnte es nur ein Elefant sein. Dies also war die Liebe. Tibo ging in sein Büro, ließ aber die Zwischentür offen stehen in der Hoffnung, Frau Stopak möge ab und an hereinschneien. Was sie nicht tat. Dennoch musste sie feststellen, dass ihre Gedanken immer wieder von der Arbeit abschweiften. Sie musste feststellen, dass sie immer wieder zu der Brotdose hinübersah, die im Posteingangskorb lag – eine Stelle, die noch
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