Die Lieder der Erde - Cooper, E: Lieder der Erde - Songs of the Earth 1
gerade.«
Verführerisch, aber die Fischgestalten sparen wir uns für einen anderen Tag auf. Beeil dich .
»Ja, Meisterin Aysha.«
Ich glaube, du musst mich nicht mehr so nennen. Aysha reicht völlig aus .
»Seid Ihr sicher? Ich meine, Ihr seid meine Lehrerin …«
Jetzt lächelte sie, auch wenn ihm nicht klar war, woher er das wusste. Er spürte es so deutlich wie die Sonne auf seinem Gesicht. Aus irgendeinem Grund errötete er.
Ich bin mir sicher. Und jetzt komm endlich zu mir. Es juckt mich schon in den Füßen .
Sie verschwand genauso plötzlich aus seinen Gedanken, wie sie erschienen war.
Gair fuhr sich mit den Fingern durch das nasse Haar. Er hätte vermutlich Nein sagen und vorgeben können, er sei müde oder habe etwas anderes zu tun, aber irgendwie kamen ihm solche Gedanken nie, wenn er mit ihr sprach. Ayshas Gegenwart war so überwältigend und berückend, dass sie ihm alles andere aus dem Sinn trieb. Mit einem Ächzen erhob er sich aus der Wanne und griff nach einem Handtuch. Das Wasser wurde sowieso allmählich kalt.
Ayshas Balkon lag noch im Schatten, aber jenseits der Mauern des Kapitelhauses schien schon die Sonne, und der Wind warf die Spitzen der Bäume mit rastloser Hand hin und her. Zirruswolken streiften den blassblauen Himmel, als ob sie mit einem Pinsel darauf gemalt worden wären.
»Der Wind hat gedreht«, sagte Aysha. »Jetzt kommt er von Norden. Ich glaube, der Sommer ist für dieses Jahr endgültig vorbei.«
»Ich habe mich schon gefragt, wann hier endlich der Winter kommt«, sagte Gair. »Für mich ist es seltsam, dass das Wetter so spät im Jahr noch derart mild ist. In Leah würden wir jetzt schon rodeln.«
»Rodeln? Was ist das?«
»Schlitten fahren. Ein Schlitten ist eine hölzerne Fläche mit Kufen darunter«, erklärte er und sah, dass sie offenbar noch immer nicht verstanden hatte. Er fuhr mit den Fingern durch die Luft. »Man zieht den Schlitten einen verschneiten Hügel hoch, setzt sich drauf, drückt sich mit den Füßen ab und fährt mit dem Schlitten nach unten.«
»Und dann?«
»Dann zieht man ihn wieder den Hügel hoch und fährt noch einmal hinunter. Das macht Spaß.«
»Für mich klingt das nach Kälte und Feuchtigkeit.« Sie zitterte.
»Schneit es hier denn nie?«
»Doch, oben in den Bergen, aber nicht im Flachland, den Heiligen sei Dank. Ich mag die Kälte nicht.« Ein Prickeln an seinen Nerven zeigte ihm an, dass sie nach dem Sang griff. »Komm. Der Nordwind macht mich immer unruhig. Wir gehen auf Hasenjagd.«
Wenige Sekunden später schoss Aysha in Gestalt eines Falken das Tal entlang und über die Obstgärten des Gehöftes, das zum Kapitelhaus gehörte. Gair folgte ihr als Feueradler. Es war wirklich ein prachtvoller Tag. Der Herbst, wie er ihn kannte, war endlich gekommen und ließ Penglas in so lebhaften Farben erstrahlen wie ein Kapellenfenster. Feuriges Rot und Gelb leuchtete in den Wäldern des Tals auf, und auf den Feldern schillerte das blasse Gold der Stoppeln und das Braun der umgepflügten Erde. Dort, wo die Landschaft allmählich ins Gebirge überging, wichen die flammenden Laubwälder den widerstandsfähigeren Kiefern und anderem Immergrün, und in der Luft lag eine Spur von Frost. Zweifellos stand der Winter bevor, aber die Sonne auf seinem Rücken verriet Gair, dass er noch nicht ganz da war.
An der Nordseite der Insel war das Land steiler und weniger sanft. Sauber angelegte Terrassenfelder mit Mauern aus Bruchsteinen säumten die Hänge, und helle Schafe weideten das kümmerliche Gras ab. Sie sahen anders aus als die dickfelligen Tiere, die Gair kannte, und wirkten eher wie Ziegen, denn sie hatten Bärte, und sogar die Lämmer trugen schon schwere gewundene Hörner. Sie waren dem felsigen Gebiet gut angepasst, das auch dem Feueradler sehr entgegenkam. Wo der sonnengewärmte Fels plötzlich zu tiefen Tälern und Schluchten abfiel, konnte der Adler mit Leichtigkeit fliegen.
Dies war nicht der einzige Vogel, den Gair erschaffen konnte. Er hatte es Aysha zu verdanken, dass er inzwischen fast ein Dutzend verschiedener Vögel beherrschte, von der Eule bis zum Finken, aber in dieser Gestalt fühlte er sich am wohlsten. Sie war ihm vertraut und passte zu ihm wie ein Paar alter Stiefel, und solange ihm nichts anderes befohlen wurde, nahm er sie stets an, wenn es ums Fliegen ging.
Er beobachtete Aysha, die über ihm flog. Obwohl sie es nicht ausdrücklich erwähnt hatte, wusste er, dass es eine Anspielung auf den Mantel gewesen war, als sie
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