Die Lilie im Tal (German Edition)
Weg, sprang über einen Graben, den die Besitzer angelegt hatten, um ihre beiden Gebiete zu trennen in diesem Brachland, das man urbar machen zu können glaubte; und Lady Dudley hielt in der Heide an, um den Wagen vorbeifahren zu sehen.
»Welche Freude, sein Kind so zu erwarten, wenn man es ohne Sünde kann«, sagte Henriette.
Das Bellen des Hundes hatte Lady Dudley angezeigt, daß ich in dem Wagen sei; sie glaubte wohl, daß ich sie wegen des schlechten Wetters im Wagen abhole. Als wir an die Stelle kamen, wo sich die Marquise aufhielt, flog sie bis an den Rand des Weges, mit einer Gewandheit, die Henriette wie ein Wunder anstaunte. Aus Scherz pflegte Arabella mich bei der letzten Silbe meines Namens zu nennen, die sie englisch aussprach; dieser Ruf nahm auf ihren Lippen einen feenhaften Reiz an. Sie wußte, daß sie nur von mir verstanden werde, wenn sie rief: »My Dee!«
»Er ist's, Madame«, sagte die Comtesse, und beim Mondschein betrachtete sie das phantastische Wesen, dessen ungeduldiges Gesicht seltsam von langen aufgelösten Locken umrahmt war.
Sie wissen, mit welcher Geschwindigkeit Frauen einander abschätzen. Die Engländerin erkannte ihre Rivalin und bewährte sich glorreich als Engländerin. Sie umfaßte uns beide mit einem Blick von echt englischer Verachtung und schoß pfeilgeschwind in die Heide hinaus.
»Schnell nach Clochegourde!« rief die Comtesse, der dieser herbe Anblick das Herz spaltete.
Der Kutscher lenkte um, um auf die Straße von Chinon zu kommen, die besser war als die von Saché. Als der Wagen wieder die Heide entlangfuhr, hörten wir den rasenden Galopp von Arabellas Pferd und den Lauf ihres Hundes. Sie streiften die Wälder jenseits der Heide.
»Sie flieht, Sie verlieren sie auf immer!« sagte Henriette. »Gut, so soll sie gehen, ich werde ihr nicht nachtrauern!« – »O die armen Frauen!« rief die Comtesse voll schaudernden Mitleids. »Wohin geht sie nur?« – »Zur Grenadière, einem kleinen Hause bei Saint-Cyr«, antwortete ich. »Sie geht allein dahin«, sagte Henriette in einem Ton, der mir bewies, wie solidarisch sich die Frauen in Liebesangelegenheiten fühlen und wie sie einander nie aufgeben.
Im Augenblick, als wir in die Avenue von Clochegourde einbogen, bellte Arabellas Hund fröhlich vor dem Wagen her.
»Sie hat uns überholt!« rief die Comtesse. Und nach einer Pause: »Ich habe nie eine schönere Frau gesehen! Welche Hand! Und welche Gestalt! Ihr Teint stellt die Lilie in den Schatten, ihre Augen haben diamantenen Glanz! Aber sie reitet zu gut. Sie muß es lieben, ihre Kraft zu entfalten; ich halte sie für tatkräftig und leidenschaftlich, und dann setzt sie sich zu kühn über die gute Sitte hinweg. Die Frau, die keine Gesetze anerkennt, wird bald nur noch auf ihre Launen hören. Die soviel zu glänzen lieben, haben gewöhnlich nicht die Gabe der Beständigkeit. Nach meiner Auffassung verlangt Liebe nach mehr Ruhe; ich denke sie mir wie einen tiefen See, dessen Grund das Senkblei nicht finden kann, wo Stürme zwar heftig sein können, aber selten ... und nicht über ein gewisses Maß hinausgehend; zwei Wesen leben auf einer Blumeninsel im See, weit von der Welt, deren Pracht und Glanz sie beleidigen würde. Aber die Liebe muß wohl bei jedem anders sein, und ich habe vielleicht unrecht. Wenn sich die Erscheinungen in der Natur, den Forderungen des Klimas entsprechend, zu verschiedenerlei Gestalt bequemen, warum sollte es nicht ebenso bei verschiedenen Individuen mit den Gefühlen bestellt sein? ... Gewiß, die Gefühle, die in ihrer Gesamtheit gleichen Gesetzen gehorchten, unterscheiden sich nur in ihren Ausdrucksmöglichkeiten. Jede Seele hat ihre Art und ihre Weise. Die Marquise ist die starke Frau, die vor Entfernungen nicht zurückschreckt, die mit männlicher Energie handelt; sie würde ihren Geliebten aus der Gefangenschaft erretten, Gefängniswärter, Wachen und Henker töten, während manche Wesen weiter nichts können als von ganzer Seele lieben; in der Gefahr knien sie hin, beten und sterben. Die ganze Frage ist die, welche von den beiden Frauen Ihnen am besten gefällt ... Aber die Marquise liebt Sie, sie hat Ihnen so viele Opfer gebracht; vielleicht wird sie Sie noch immer lieben, wenn bei Ihnen die Liebe schon aufgehört hat.« – »Lieber Engel, erlauben Sie, daß ich die Worte wiederhole, die Sie einmal an mich richteten: »Woher wissen Sie alle diese Dinge?<« – »Jedes Leid bringt eine Lehre mit sich, und ich habe in so vieler Beziehung
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