Die Lilie im Tal (German Edition)
ebensoviel überlegen, wie unsere Stahl- und Silberwaren und unsere Pferde euren Klingen und Pferden überlegen sind. Tu mir den Gefallen, meinen Pfarrer anzuhören! Versprich es mir! Ich bin nur eine Frau, mein Liebster. Ich kann lieben; ich kann für dich sterben, wenn du es wünschest, aber ich habe weder in Eton noch in Oxford, noch in Edinburgh studiert. Ich bin nicht Doktor und nicht Geistlicher, ich wäre nicht imstande, dir mit Moral zu dienen; dazu bin ich ganz ungeeignet und würde mich bei einem Versuch sehr ungeschickt zeigen. Ich werfe dir nicht deinen Geschmack vor. Wenn du einen noch viel verkommeneren hättest, würde ich versuchen, mich ihm anzupassen, denn ich wünsche, daß du alles bei mir findest, was dir zusagt: Liebesfreuden, Tafelfreuden, kirchliche Freuden, guten Claret und christliche Tugend. Soll ich heute abend ein härenes Gewand anziehen? Sie hat es wirklich gut, die Frau, die dich mit Moral bewirten darf. Auf welcher Universität machen denn die Französinnen ihre Examina? Ich Ärmste, ich kann nur mich hingeben, ich bin nur deine Sklavin ...« – »Warum bist du denn dann fortgelaufen? Ich wollte euch nebeneinander sehen.« – »Bist du verrückt, my Dee? Ich ginge als Lakai verkleidet von Paris nach Rom, ich unternähme für dich die wahnwitzigsten Dinge, aber wie kann ich auf der Straße mit einer Frau sprechen, die mir nicht vorgestellt ist? ... und die sofort eine Predigt in drei Teilen begonnen hätte? Ich will mich gern mit Bauern unterhalten; es kann sein, daß ich einen Arbeiter bitte, sein Brot mit mir zu teilen, wenn ich Hunger habe, ich gebe ihm Geld, und alles ist in bester Ordnung. Aber einen Wagen anhalten, wie es die Wegelagerer in England tun, das verträgt sich nicht mit meinem Sittenkodex. Du kannst wirklich nichts als lieben, armes Kind – was weißt du vom Leben? Übrigens gleiche ich dir noch nicht in allem, Engel! Ich schwärme nicht für Moral, aber um dir zu gefallen, bin ich der größten Anstrengung fähig. Laß nur gut sein, ich werde es lernen, ich werde versuchen, mir den Predigerton anzueignen. Mit mir verglichen wird Jeremias bald nur noch ein Possenreißer sein. Ich werde mir keine Liebkosung mehr erlauben, ohne sie mit Bibelsprüchen zu begleiten!«
Sie gebrauchte ihre Macht; sie mißbrauchte sie, sobald sie in meinen Augen den glutheißen Blick sah, der ihr verriet, daß ich ihren Zauberkünsten erlag. Sie siegte über alles. Freudig stellte ich über alle frömmelnden Spitzfindigkeiten die Größe der Frau, die sich preisgibt, die auf ihre Zukunft verzichtet und aus der Liebe ihre einzige Tugend macht.
»Sie liebt sich also mehr als dich, sie zieht etwas außer dir Liegendes dir vor! Wie können wir etwas in uns anders bewerten als nach eurem Maßstab? Keine Frau, sei sie auch eine noch so große Moralistin, kann einem Mann ebenbürtig sein. Schreitet über uns hinweg, tötet uns, erschwert nie mit uns euer Leben; an uns ist es, zu sterben, an euch, groß und stolz zu leben! Haltet ihr für uns den Dolch bereit, so haben wir für euch nur Liebe und Verzeihung! Kümmert sich die Sonne um die Mückchen, die in ihren Strahlen tanzen und von ihrem Licht leben? Sie bestehen, solange sie können. Wenn die Sonne schwindet, sterben sie ...« – »Oder sie fliegen weg!« unterbrach ich sie. »Oder sie fliegen weg!« wiederholte sie mit einer Gleichgültigkeit, die selbst den Mann verstimmt hätte, der entschlossen gewesen wäre, die seltsame Gewalt zu gebrauchen, mit der sie ihn bekleidete. »Glaubst du, daß es einer Frau würdig sei, einem Mann Tugendbutterbrötchen zu reichen, um ihm so klarzumachen, daß sich Religion und Liebe nicht vertragen? Bin ich denn so gottlos? Entweder man gibt sich, oder man verweigert sich; aber sich verweigern und moralisieren, das heißt doppelte Qual bereiten; und das verstößt gegen Recht und Billigkeit aller Länder! Hier werden dir nur ausgezeichnete Sandwiches von der Hand deiner Dienerin Arabella zubereitet, deren ganze Moral darin besteht, Liebkosungen zu ersinnen, wie sie noch kein Mann erfahren hat und wie nur die Engel sie eingeben.«
Ich kenne nichts, was einen mürber macht, als der von einer Engländerin gehandhabte Scherz. Sie setzt ihren ganzen beredten Ernst und den Schein pomphafter Überzeugung daran, hinter dem Engländer die großen Albernheiten ihres vorurteilsreichen Lebens zu verbergen. Der französische Scherz gleicht einer Spitze, womit die Frauen die Freude, die sie geben, und die Neckereien,
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