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Die Lilie im Tal (German Edition)

Die Lilie im Tal (German Edition)

Titel: Die Lilie im Tal (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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verflog, in dem ich beim staunenden Anblick meines Idols schwebte, und währenddessen ein Diener im Zimmer gewesen war und mit ihr gesprochen hatte, hörte ich plötzlich, wie sie etwas vom Comte sagte. Jetzt erst kam mir der Gedanke, daß eine Frau ihrem Manne gehört. Dieser Gedanke machte mich schwindlig. Dann faßte mich eine wütende und finstere Neugierde, den zu sehen, dem dieser Schatz gehörte. Zwei Gefühle beherrschten mich: Haß und Angst; ein Haß, der keinen bestimmten Widerstand erkannte, aber alle Hindernisse erwog, ohne vor ihnen zurückzuschrecken; eine unbestimmte, aber wesenhafte Angst vor dem Kampf, vor seinem Ausgang, vor ihr besonders. Ich war ein Raub der schlimmsten Ahnungen. Mir graute vor jenem Händedrücken, das entehrt. Ich sah im voraus die kaum greifbaren Schwierigkeiten, gegen die sich die stärksten Energien stoßen und die die stärksten Energien abstumpfen. Ich fürchtete die Macht der Trägheit, denn sie betäubt das heutige soziale Leben der Katastrophen, die leidenschaftliche Seelen herbeiwünschen.
    »Da kommt Monsieur de Mortsauf«, sagte sie.
    Ich richtete mich auf wie ein erschrockenes Pferd. Diese Bewegung entging zwar weder Monsieur de Chessel noch der Comtesse, aber ich zog mir trotzdem keinen stummen Verweis zu, denn die Aufmerksamkeit wurde von mir abgelenkt durch ein kleines Mädchen, das ich für sechsjährig hielt und das eintrat und rief: »Vater kommt!« – »Nun, Madeleine?« sagte die Mutter.
    Und das Kind reichte Monsieur de Chessel die Hand und sah mich sehr aufmerksam an, nachdem es mir einen kurzen, erstaunten Gruß zugenickt hatte.
    »Sind Sie mit ihrer Gesundheit zufrieden?« fragte Monsieur de Chessel die Comtesse. »Es geht ihr besser«, antwortete sie, indem sie liebkosend mit der Hand über das Haar der Kleinen strich, die sich in ihren Schoß geschmiegt hatte. Aus einer Frage Monsieur de Chessels ging hervor, daß Madeleine neun Jahre alt war. Ich sagte, daß ich erstaunt sei, aber meine Verwunderung verdüsterte die Stirn der Mutter. Mein Begleiter warf mir einen jener vielsagenden Blicke zu, durch die Leute von Welt uns eine zweite Erziehung angedeihen lassen. Hier lag offenbar der wunde Punkt im Herzen der Mutter, an den man nicht rühren durfte. Schwächlich, wie sie war, mit ihren verwaschenen Augen, mit ihrer Haut, so blaß wie Porzellan, durch das Licht schimmert, hätte Madeleine in der Luft der Großstadt überhaupt nicht leben können. Die Landluft, die Pflege ihrer Mutter, die sie wie mit Fittichen zu beschützen schien, erhielten das Leben in ihrem Körperchen, das so zart war wie eine Pflanze, die trotz der Unbilden eines rauhen Klimas im Treibhaus groß geworden ist. Obwohl sie in nichts ihrer Mutter glich, schien Madeleine doch ihre Seele zu haben, und diese Seele hielt sie aufrecht. Ihr spärliches schwarzes Haar, ihre tiefliegenden Augen, ihre hohlen Wangen, ihre dünnen Ärmchen, die schmale Brust – alles wies auf einen Kampf zwischen Leben und Tod, ein endloses Ringen, in dem die Comtesse bisher siegreich geblieben war. Die Kleine zwang sich, lebhaft zu sein, wahrscheinlich um der Mutter keinen Kummer zu machen; denn sobald sie nicht auf sich achtete, glich sie einer Trauerweide. Man hätte sie für ein hungerleidendes Zigeunermädchen halten können, das sich aus seiner Heimat hierher durchgebettelt hatte, das erschöpft, aber mutig für sein Publikum geputzt war.
    »Wo hast du Jacques gelassen?« fragte die Mutter sie und drückte ihr einen Kuß auf den weißen Scheitel, der ihr Haar – Rabenflügeln ähnlich – in zwei Hälften teilte. »Er kommt mit Vater.«
    Da trat der Comte ein. Er hielt seinen Sohn an der Hand. Jacques, das wahre Ebenbild seiner Schwester, war ebenso schwächlich wie sie. Wer diese beiden überzarten Kinder neben einer so strahlend schönen Mutter sah, mußte die Quellen des Kummers ahnen, der die Stirn der Comtesse umflorte und der sie Gedanken verschweigen hieß, die nur Gott zum Vertrauten haben, die aber furchtbar auf ihrer Stirn lasteten. Bei der Begrüßung warf mir Monsieur de Mortsauf einen nicht gerade forschenden, aber ungeschickt befangenen Blick zu, wie das den meisten Leuten eigentümlich ist, deren Mißtrauen von einem Mangel an Menschenkenntnis herrührt. Nachdem sie ihm das Nötige mitgeteilt und ihm meinen Namen genannt hatte, trat die Comtesse ihrem Manne den Platz ab und ging hinaus. Die Kinder, deren Blicke fortwährend an den Augen der Mutter hingen, als ob sie aus ihnen Licht

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