Die Lilith Verheißung: Thriller (German Edition)
müssen alle relevanten Personenkreise, wie Ärzte, Polizisten, Laborpersonal und Pfleger, geimpft werden. Unser Impfstoffvorrat reicht nach unseren Schätzungen für mindestens zehn Millionen Menschen. Die Firma, die schon vor Jahren den Auftrag von der Regierung erhielt, einen Pockenimpfstoff herzustellen, wird morgen ihre Produktion komplett auf diesen Impfstoff umstellen. Alles, was jetzt zählt, ist Zeit. Je schneller wir die Infektion eindämmen können, desto größer ist die Chance, sie unter Kontrolle zu bringen. Aber in unserer mobilen Gesellschaft ist das …«
Die Kanzlerin schaltete sich ein. »Entschuldigen Sie, HerrProfessor, sind nicht bereits Ende der sechziger Jahre viele Bundesbürger gegen Pocken geimpft worden?«
Vogel nickte. »Aber wir glauben, dass der Wirkstoff nicht mehr ausreicht, dass er nicht mehr schützt. Wir haben seit mehr als 30 Jahren keinerlei Erfahrungswerte, in der Immunologie ist das eine Ewigkeit.«
Die Kanzlerin bat Vogel, mit seinem dritten Punkt fortzufahren. Sie wusste bereits, was jetzt kommen würde, und umso mehr war sie auf die Reaktion ihrer Minister gespannt.
»Nun, der dritte Punkt ist der schwierigste.« Er räusperte sich. »Um bei einem solchen Ausbruch die Bevölkerung schnell und effizient mit Impfstoffen zu versorgen und Erkrankte zu isolieren, kommen wir nicht umhin, die betroffenen Gebiete großflächig zu kontrollieren. Das heißt konkret: Schließung aller öffentlichen Einrichtungen wie Schulen, Universitäten, Kinos, Konzerthallen, Einkaufszentren sowie bis auf weiteres Fahr- und Reiseverbote innerhalb der definierten Zone. Wir frieren das Leben in den betroffenen Regionen sozusagen ein.«
Die Runde war zunächst sprachlos. Wieder begann der Wirtschaftsminister mit seiner Tirade von Deutschland als Wirtschaftsstandort. Auch die meisten seiner Kabinettskollegen hielten diese Maßnahmen für übertrieben. Alle hatten noch die Hysterie um die Schweinegrippe in Erinnerung. Damals sah es für die Politiker und die Medien so aus, als ob es nur ein Hype wäre, gesteuert oder zumindest befördert von der Eitelkeit der Forscher und der Gier der Pharmaindustrie. Die wenigsten wussten, wie haarscharf man damals an einer Katastrophe vorbeigeschrammt war. Man hatte Lehren daraus gezogen, neue Notfallpläne erarbeiten lassen und gewartet. Denn jedem Virologen war klar, dass es zu einem Ausbruch kommen musste. Zu sehr waren die Kontinente heute miteinander verwoben, durch Urlaubs- und Geschäftsreisen, Wirtschaft und Handel.
Der Pressesprecher kam lautlos herein und gab Vogel und der Kanzlerin jeweils zwei Blätter, eines mit stichwortartigen Informationen und das andere mit einem längeren Text. Die Kanzlerin stöhnte leise auf und las dann der Runde das Schreiben vor.
»Quid pro quo
Das deutsche Volk steht am Beginn seiner Vernichtung. Einst ist von Deutschlands Boden der Hass und die Zerstörung unserer Kultur beschlossen und umgesetzt worden. Und nach der Niederlage haben Sie mit Ihrem Geld versucht, sich herauszukaufen aus Schuld und Verantwortung. Heute werfen Sie an festgelegten Tagen brav Kränze ab, bauen Synagogen und schicken ein paar Waffen nach Israel und glauben, diese einmalige Tat des Grauens damit gesühnt zu haben. Aber die Seelen unserer Toten haben keine Ruhe gefunden. Sie rufen uns Lebenden zu: Rächt uns! SO steht es geschrieben: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Es gibt keine Versöhnung, ehe nicht die Schuld wirklich beglichen ist. Unsere Gruppe hat keinen Namen, sie stellt keine Forderungen, sie will nicht zu etwas aufrufen. Sie hat über Euch die Pulsa diNura ausgesprochen.
Wir sind gekommen, um die Schuld einzulösen. Wie einst das Virus des Faschismus, senden wir nunmehr das Pockenvirus über Ihr Land. Sie werden impfen, Sie werden isolieren, aber Sie werden das Sterben nicht verhindern können. Hier ist unsere Rechnung: Sechs Millionen Juden gegen sechs Millionen Deutsche. NAKAM «
München, Deutschland, 14. 12., 08.03 Uhr
Das Zimmer konnte als klinisch rein bezeichnet werden. Trotz ihres mittlerweile zum Bersten gespannten Bauches, des vielen Wassers in den Beinen und der hämmernden Kopfschmerzen hatte sie nicht mit dem Putzen des Raums aufhören können, bis sie erschöpft auf das weiche Bett fiel, das nach strengem Reinigungsmittel und Mottenpulver roch. Ihre Gedanken flackerten in ihrem Kopf. Sie versuchte, sich auf Momente in ihrer Vergangenheit zu konzentrieren. Meist war das beruhigend. Sie dachte an ihn. Diesen Giganten. Wie er
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