Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die linke Hand Gottes

Die linke Hand Gottes

Titel: Die linke Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
Vom Netzwerk:
durch eine Linie getrennt, die von keiner Partei überschritten werden durfte, sich gegenseitig mit einem an einem Band befestigten Lederbeutel abzuschlagen versuchten. Das scheint auf den ersten Blick harmlos zu sein, allerdings muss man dazu wissen, dass der Lederbeutel mit Steinen gefüllt war. Schwere Verletzungen waren an der Tagesordnung, selbst Treffer mit Todesfolge kamen vor. Da Cale beobachtete, dass er und seine Gefährten vom faulen Leben in Memphis allmählich schlaff wurden, belebte er das Spiel wieder, allerdings mit Sand statt Steinen als Füllung des Lederbeutels. Ursprünglich nur zur Ertüchtigung gedacht, stellten sie erstaunt fest, welches Vergnügen ihnen das Ganze bereitete, wenn das Risiko schwerer Verletzungen wegfiel. Da ihnen ein Mitspieler fehlte, nahmen sie Simon mit ins Boot. Zwar bewegte er sich nicht mit der Anmut der anderen Materazzi, machte das aber durch Energie und Begeisterung wett. Er verletzte sich oft, klagte jedoch niemals. Der Lärm, wenn sie über ihre Ungeschicklichkeiten lachten und johlten, war so groß, dass Arbell ihn nicht überhören konnte. Oft stand sie dann oben am Fenster und schaute hinunter in den Garten, wo ihr Bruder mitspielte und mitlachte und zum ersten Mal in seinem Leben dazugehörte.
    All das senkte sich tief in ihr Herz – und selbstverständlich auch Cales beeindruckende Stärke, die Kraft seiner Muskeln und sein glänzender Schweiß, wenn er im Spiel rannte und den Beutel schleuderte, wenn er jagte und lachte.
    Nachdem er über eine Stunde draußen gewesen war, ließ sie ihn durch Riba hereinrufen. Während sie sich in ihrem Schlafzimmer schönmachte, wartete Cale im Salon. Das war die erste Gelegenheit, sich einmal unbeobachtet umzuschauen, und Cale nutzte sie zum genauen Inspizieren, angefangen mit den Büchern, die auf dem Tisch lagen, bis zu den Wandvorhängen und dem großen Gemälde eines Paares, das den ganzen Salon beherrschte. Er betrachtete es gerade eingehend, als Arbell hinter ihm eintrat und sagte: »Das ist mein Urgroßvater und seine zweite Frau. Sie sorgten für einen Skandal, weil sie ein echtes Liebespaar waren.« Cale wollte schon fragen, warum sie ein Porträt der beiden in ihrem Salon hängen hatte, doch dann sprach er von etwas anderem.
    »Ich wollte Euch danken für alles«, sagte sie leise und geradezu schüchtern, »was Ihr für Simon getan habt.« Cale antwortete nicht, weil er nicht wusste, was er erwidern sollte und weil das Objekt seiner Verehrung zum ersten Mal, seit er in Liebe zu ihm entbrannt war, in so freundlichem Ton zu ihm sprach. »Ich meine das Spiel, das Ihr heute gespielt habt. Simon ist so glücklich, Gleichaltrige um sich zu haben, die...«, sie wollte schon sagen »mit ihm spielen«, als sie gewahr wurde, dass ein junger Mann, der so brutal und dann wieder so mitfühlend sein konnte, das falsch auffassen könnte. »Die... so freundlich zu ihm sind. Ich bin Euch sehr dankbar dafür.«
    Cale hörte das sehr gern.
    »Keine Ursache«, sagte er. »Er begreift schnell, wenn man ihm erklärt, worum es geht. Wir härten ihn ab.« Kaum war ihm das Wort entschlüpft, da merkte er, dass es wohl nicht das richtige war. »Ich meine, wir bringen ihm bei, selbst zurechtzukommen.«
    »Aber Ihr werdet ihm hoffentlich nichts Gefährliches beibringen?«, fragte sie besorgt.
    »Wir bringen ihm nicht das Abmurksen bei, wenn Ihr das meint.«
    »Verzeiht«, sagte sie untröstlich über die erneute Kränkung. »Ich wollte nicht verletzend sein.«
    Doch Cale war ihr gegenüber nicht mehr so empfindlich wie früher. Schließlich hatte sich ihr Ton spürbar erwärmt.
    »Nein, Ihr wart nicht verletzend. Ich sollte auch nicht so rasch beleidigt sein. IdrisPukke hat mir gesagt, mich daran zu erinnern, dass ich eigentlich ein Halsabschneider bin und mehr Rücksicht auf Leute nehmen sollte, die eine ordentliche Erziehung genossen haben.«
    »Nein, das hat er nicht gesagt«, sagte sie lachend.
    »Doch, das hat er. Er schert sich nicht um meine gefühlvolle Seite.«
    »Ach, habt Ihr so etwas?«
    »Ich weiß es nicht. Glaubt Ihr, dass das etwas Gutes wäre?«
    »Oh, das wäre etwas Wunderbares.«
    »Dann versuche ich es – obwohl ich nicht so genau weiß, wie. Ihr könntet mir ja sagen, wann ich mich wie ein Halsabschneider benehme, und mir dann gleich Bescheid stoßen.«
    »Dazu hätte ich viel zu viel Angst«, sagte sie und klimperte mit den Wimpern.
    Er lachte. »Ich weiß, alle glauben, ich hätte ein Gemüt wie ein Fleischerhund, aber

Weitere Kostenlose Bücher