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Die linke Hand Gottes

Die linke Hand Gottes

Titel: Die linke Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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Speichelleckerei. Kleist sah Simon an. Koolhaus’ Finger malten Zeichen in die Luft, sobald Kleist zu sprechen begann.
    »Henri ist das, was die Materazzi ein...«, er suchte nach dem Wort, »... einen Cecchino, einen Scharfschützen nennen. Die Armbrust ist seine einzige Waffe.«

    Zwei Stunden später tauchte Cale wieder in der Wachstube auf. Die Nachricht von den Armbrüsten versetzte ihn sofort in schlechte Laune.
    »Habt ihr Simon und Koolhaus gesagt, die Sache nicht auszuplaudern?«
    »Warum hätten wir das tun sollen?«, fragte Kleist.
    »Weil«, erwiderte Cale, nun wirklich gereizt, »ich keinen Grund sehe, warum irgendjemand wissen sollte, dass Henri ein Heckenschütze ist.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »>Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß< – je weniger man über uns weiß, desto besser für uns.«
    »Das ist ja großartig«, sagte Kleist ironisch. »Und das rät uns ausgerechnet einer, der im Garten der Festung eine solche Schau abgezogen hat.«
    »Es ist doch so, Cale«, sagte Vague Henri. »Wie hätte ich es jemals im Schießen zu etwas gebracht, wenn ich es nicht ausprobiert hätte. Ich brauche Bolzen, und ich muss üben.«
    Jetzt war es so oder so zu spät, die Sache war bekannt geworden. Zwei Tage später wurden alle drei zu Hauptmann Albin bestellt. Er schien amüsiert zu sein.
    »Du siehst nicht gerade wie ein Meuchelmörder aus, Henri.«
    »Ich bin kein Mörder, ich bin nur Scharfschütze.«
    »Jonathan Koolhaus sagt, du seist ein Cecchino.«
    »Ihr solltet nicht auf Koolhaus hören.«
    »Dann bist du also ein Scharfschütze, der aber keine Menschen tötet. Wozu bist du dann nütze?«
    Vague Henri war zwar gekränkt, vermied es aber, den Köder zu schlucken. Dennoch lief es am Ende darauf hinaus, dass Albin auf einer Vorführung seiner Kunst bestand.
    »Ich habe von diesem Apparat gehört. Ich möchte sehen, wie man ihn gebraucht.«
    »Das ist nicht nur ein Apparat. Wir haben sechs Modelle.«
    »Meinetwegen auch sechs. Wird der Exerzierplatz >Feld der Träume< ausreichen?«
    »Wie groß ist der denn?«
    »Dreihundert Schritte in der Länge.«
    »Nein, das reicht nicht.«
    »Wie lang also?«
    »Sechshundert Schritte.«
    Albin lachte. »Du willst mir weismachen, mit diesen Apparaten auf sechshundert Schritte Entfernung ein Ziel zu treffen?«
    »Nur mit einem Apparat.«
    Albin machte ein ungläubiges Gesicht. »Wir könnten den westlichen Teil des Königlichen Parks absperren. Bist du in fünf Tagen bereit?«
    »Ich brauche acht. Ich muss mir Bolzen anfertigen lassen, außerdem müssen alle Bögen gerichtet werden.«
    »Gut.« Dann sah er Kleist an. »Koolhaus sagt, du seist ein Bogenschütze.«
    »Er hat ein loses Mundwerk, dieser Koolhaus.«
    »Davon einmal abgesehen, stimmt es?«
    »Einen besseren als mich gibt es nicht.«
    »Dann möchte ich auch von dir eine Vorführung sehen. Und du, Cale, hast du weitere Kaninchen, die du noch nicht aus deinem Zylinder gezogen hast?«

    Acht Tage später versammelten sich eine kleine Gruppe von Materazzi-Generälen, der Marschall, der sich selbst eingeladen hatte, sowie Kanzler Vipond hinter großen Segeltuchbannern, die sonst dazu benutzt wurden, Rotwild an Damen der Gesellschaft vorbeizutreiben, die bei der Jagd zuschauen wollten. Der stets umsichtige Albin, darin Cale ähnlich, hatte es für besser gehalten, die Vorführung ohne viel Aufhebens über die Bühne gehen zu lassen. Er hätte nicht sagen können, warum, aber die drei Jungen verbargen immer etwas und galten ihm deshalb als unberechenbar. Und dieser Cale war ein Sohn des Chaos, also hatte man allen Grund, sich auf das Schlimmste gefasst zu machen.
    Keine fünf Minuten nach Beginn der Vorführung begriff Albin, dass er einen schrecklichen Fehler begangen hatte. Es fällt schwer, da es dem Menschen im Innersten widerstrebt, hinzunehmen, Leuten, die weniger Talent haben, weniger arbeiten, weniger klug und auch weniger lernbereit sind, ihrer adligen Abkunft wegen doch immer den besten Platz einzuräumen, damit sie, wie es der Dichter Demidov ausdrückt, »ihre Schnauzen in den großen Schweinetrog des Lebens stecken«. Da Albin so viel mit Vipond zu tun hatte, einem rastlos tätigen Mann von herausragender Intelligenz, wollte sein kindischer Gerechtigkeitssinn, der immer noch in seiner Seele hauste, die Tatsache ignorieren, dass der adlige Vipond auch dann sein Kanzleramt bekommen hätte, wenn er ein völliger Narr gewesen wäre. Die Generäle, die auf den Beginn der Vorführung warteten,

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