Die linke Hand Gottes
waren als Militärs nicht fähiger als jede andere Gruppe, die diese Posten allein verwandtschaftlichen und ständischen Privilegien verdankte. In Memphis achteten selbst Bäcker, Brauer und Maurer ebenso peinlich auf ihre Geburtsrechte wie eine Materazzi-Herzogin. Du bist ein Idiot , sagte Albin zu sich selbst, und verdienst diese Demütigung. Nicht allein dass Cale, Henri und Kleist Kinder waren – obwohl recht seltsame -, sondern dass sie nicht einmal einfache Bürger waren. Ein Materazzi konnte sehr wohl einem Steinmetz seinen Respekt zollen, ja viele Materazzi empfanden es sogar als unschicklich, zu einem Diener grob zu sein. Aber diese Jungen besaßen keine Herkunft, sie gehörten nirgendwo hin, sie waren Entwurzelte, und das Schlimmste, einer von ihnen war zu weit gegangen. Die Generäle wollten die Tatsache, dass Cale vom Munus-Zirkel und von Solomon Solomon schikaniert worden war, nicht unter den Teppich kehren, aber nach ihrer Auffassung stand es allein den Materazzi zu, solche Vorfälle zu regeln. Unrecht, das Mitgliedern der niederen Stände geschehen war, sollte möglichst geräuschlos aus der Welt geschafft werden. Wenn dies nicht möglich war, dann beließ man es dabei. Demjenigen, dem Unrecht geschehen war, stand es nicht zu, seine Angelegenheit selbst in die Hand zu nehmen, noch dazu auf solch spektakuläre und für die Materazzi demütigende Weise. Dass Cale seiner Kränkung auf eigene Faust Genugtuung verschafft hatte, stellte eine Bedrohung dar. Und darin, dachte Albin, hatten sie vielleicht sogar Recht.
Als Erster kam Kleist an die Reihe. Man hatte zwölf hölzerne Soldaten, die sonst für Schwertkampfübungen verwendet wurden, in einer Entfernung von dreihundert Schritt aufgestellt. Die Materazzi gebrauchten Bogen aber vorwiegend für die Jagd. Ihre Waffen waren elegante Kompositbogen, die für teures Geld importiert wurden. Kleists Bogen ähnelte in ihren Augen einem Besenstiel. Es schien ihnen unmöglich, solch ein hässliches Gerät überhaupt zu spannen. Kleist setzte das untere Ende des Bogens auf den Boden und hielt es mit dem Rist seines linken Fußes fest. Die Bogensehne fasste er gleich unter der Schlaufe, dann spannte er den Bogen mit seiner ganzen Körperkraft, bis er die Sehne in die Kerbe einhängte. Beim Spannen des mehr als daumendicken Bogens ließ er sich die Anstrengung nicht anmerken. Dann wandte er sich zu dem Halbkreis, wo die Pfeile im Boden steckten, und suchte sich einen passenden aus. Er legte ihn auf die Sehne, dehnte sie bis zur Wange, zielte und löste den Schuss. Das Ganze ging in einer fließenden Bewegung vonstatten und wiederholte sich alle fünf Sekunden. Elfmal hörte man einen satten Aufprall, wenn der Pfeil ins Ziel traf – nur ein einziger ging lautlos daneben. Einer von Albins Männern kam hinter der Schutzwand aus Holzbrettern hervor und bestätigte das Ergebnis durch Winken mit zwei Flaggen: elf von zwölf. Der Marschall spendete begeistert Beifall, die Generäle folgten seinem Beispiel, wenngleich ohne Begeisterung.
»Bravo!«, rief der Doge. Beleidigt wegen der lauen Reaktion der Generäle nicke Kleist nur knapp zum Zeichen der Anerkennung und machte den Platz frei für Vague Henri, der nun seinerseits sein Können zeigen sollte.
»Die Armbrust gibt es in drei verschiedenen Ausführungen«, begann er seine Erläuterung, fest davon überzeugt, dass das Publikum seine Begeisterung teilte. Er hob das leichteste Modell in die Höhe und ließ die beiden anderen in ihrem Gestell. »Das ist die Ein-Fuß-Armbrust – wir nennen sie so, weil man hier einen Fuß hineinsetzt.« Er setzte den rechten Fuß in den Bügel oben an der Armbrust, hakte die Sehne mit einem Widerhaken an den Gürtel, den er um die Hüften trug, und trat die Armbrust mit dem Fuß zum Boden hinunter, sodass der Mechanismus die Sehne packte und gespannt hielt.
»Jetzt«, fuhr Vague Henri mit nachlassender Begeisterung fort, da er die missbilligenden Blicke der Generäle sah, »lege ich den Bolzen ein und...« Er zielte und löste den Schuss aus. Beim charakteristischen Geräusch des aufprallenden Pfeils, das auch auf dreihundert Schritt noch gut zu hören war, seufzte er erleichtert auf. »Ein toller Schuss!«, sagte der Doge. Die Generäle, durchaus beeindruckt, starrten Vague Henri finster und verächtlich an. Der hatte sich von diesem kraftvollen, ins Schwarze treffenden Schuss mehr Eindruck beim Publikum erhofft. Er verlor sein Selbstvertrauen und griff zögerlich zur nächsten
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