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Die linke Hand Gottes

Die linke Hand Gottes

Titel: Die linke Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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zwischen Wirklichkeit und Nicht-Wirklichkeit zu unterscheiden. Ebenso könnt Ihr, wenn Ihr durch mich als Dolmetscher zu Eurem Sohn sprecht, erkennen, dass er über die gleiche Vernunft wie Ihr und ich verfügt, mag es ihm auch noch an Bildung und Wissen fehlen.«
    Koolhaus’ beleidigende Offenheit verfehlte nicht ihre Wirkung.
    »Also gut«, sagte der Marschall. »Simon soll mir berichten, wie das alles eingefädelt worden ist. Und fügt nichts hinzu, was ihn klüger macht, als er ist.«
    In der folgenden Viertelstunde hatte Simon sein erstes Gespräch mit seinem Vater und dieser mit seinem Sohn. Ab und zu stellte der Marschall eine Frage, aber die meiste Zeit über hörte er zu. Als Simon an den Schluss seiner Erzählung kam, standen seinem Vater Tränen in den Augen und ebenso seiner Schwester, die erstaunt zugehört hatte.
    Am Ende stand der Marschall auf und umarmte seinen Sohn. »Verzeih mir, Junge.« Dann befahl er einem Soldaten seiner Wache, Cale zu holen. Koolhaus vernahm diesen Befehl mit gemischten Gefühlen. Nach seiner Auffassung hatte Simon Cales Idee, ihm eine einfache Zeichensprache beizubringen, viel zu breiten Raum in seiner Erzählung gegeben, während die Tatsache, dass Koolhaus dieses primitive Verständigungsmittel zu einer echten, lebendigen Sprache entwickelt hat, viel zu kurz gekommen war. Nun sah es so aus, als ob dieser dahergelaufene Schweinehirte Cale alle Lorbeeren einheimste. Cale war jedoch von Simons Auftritt fast ebenso überrascht gewesen wie die übrigen Gäste, da ihm jeder Begriff von den Fortschritten fehlte, die Koolhaus und Simon gemeinsam gemacht hatten, aus dem einfachen Grund, weil Koolhaus seinen Schüler zur Geheimhaltung verdonnert hatte, um mit einem Überraschungscoup alle Meriten für sich zu beanspruchen.
    Cale erwartete einen Rüffel und reagierte verlegen, als er von Arbell und dem Marschall gleichermaßen als Retter gefeiert wurde. Letzterer hatte ein schlechtes Gewissen wegen seiner vor Kurzem noch verfochtenen Idee, Cale loszuwerden.
    Aber auch Arbell fühlte sich schuldig. Nach den schrecklichen Ereignissen in der Opera Rosso hatte sie mehrere heiße Liebesnächte mit Cale verbracht, während sie tagsüber aus den Gesprächen in ihrer Umgebung alle Einzelheiten über Solomon Solomons grässlichen Tod in der Arena erfuhr. Da sie früher immer nur Verachtung für ihren geheimnisvollen Leibwächter gezeigt hatte, tat sich niemand Zwang an, von den Grausamkeiten zu erzählen. Manches davon konnte als Geschwätz abgetan werden, mit dem sich der Erzähler wichtig machen wollte, aber als selbst die ehrliche und gutherzige Margaret Aubrey sagte: »Ich weiß nicht, warum ich weiter zugeschaut habe. Anfangs hatte ich solches Mitleid mit ihm, er sah so verloren aus. Aber was dann kam, Arbell, war das Brutalste, was ich je gesehen habe. Er hat mit ihm gesprochen, ehe er ihn umgebracht hat. Und er hat dabei noch gelächelt. Selbst mit Schweinen würde man so etwas nicht machen, meinte mein Vater.«
    Diese Worte stürzten die junge Prinzessin in ein Wechselbad der Gefühle. Einerseits fühlte sie sich durch das harsche Urteil über ihren Geliebten gekränkt, andererseits hatte sie ja dessen Kaltschnäuzigkeit beim Töten selbst mit angesehen. Wer konnte sie tadeln, wenn ein Schauder bis in die verborgenen Winkel ihres Herzens drang. Alle schrecklichen Gedanken wurden jedoch verbannt, als bekannt wurde, dass dank Cale ihr Bruder Simon sozusagen von den Toten auferstanden war. Sie nahm Cales Hand und küsste sie aus Bewunderung und Leidenschaft. Nun dankte sie ihm für alles, was er getan hatte. Dass Cale das Verdienst Koolhaus zusprach, änderte daran nichts. Der Marschall, der sich vergeblich mehrmals räusperte, und Arbell dankten dem Lehrer, um sogleich wieder Cale in den höchsten Tönen zu preisen. Koolhaus fühlte sich betrogen und vergaß dabei, dass es Cale gewesen war, der Simon Materazzis verborgene Intelligenz erkannt und einen Weg gefunden hatte, ihn aus seiner Stummheit zu befreien. Dass Cale sich nun bemühte, Koolhaus von der Dankbarkeit der Materazzi profitieren zu lassen, war, so argwöhnte der Lehrer, nur ein geschickter Zug, sich selbst ins Licht zu rücken und ihn in den Schatten zu drängen. An einem einzigen Tag überzeugte Cale also zwei Zweifler und machte sich einen weiteren Feind.

DREIUNDDREISSIGSTES KAPITEL
    I n jener Nacht hatte Arbell Materazzi alle Vorbehalte gegenüber Cale aufgegeben und hielt ihn fest in ihren Armen. Wie mutig er war und

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