Die linke Hand Gottes
Drinnen stieß er auf Pater Petar Brzica und einen Jungen von vielleicht vierzehn Jahren, der mit auf dem Rücken gefesselten Händen auf dem Boden saß. Der Gesichtsausdruck des Jungen war befremdend – blanker Schrecken, was verständlich war, aber dazu noch etwas anderes, das Malik nicht genau in Worte fassen konnte. Vielleicht Hass.
»Ihr wolltet mich sprechen, gnädiger Vater.«
»Malik, da seid Ihr ja«, begrüßte ihn Brzica. »Ich habe mir überlegt, ob Ihr mir einen Gefallen tun könntet.«
Malik nickte mit so wenig Begeisterung, wie es ihm gerade noch statthaft schien.
»Dieser Junge da ist ein Spion oder ein von den Materazzi gedungener Meuchelmörder, denn er berichtet mir, er sei Zeuge der Operation in Mount Nugent gewesen. Dafür muss er die Quittung bekommen.«
»Ja?« Malik fehlte jetzt nicht nur jede Begeisterung, ihm fehlte jeder Begriff.
»Gerade bevor die Wachposten ihn geschnappt und zu mir gebracht haben, hat mir der Erzbischof persönlich die Absolution für alle meine Sünden erteilt.«
»Verstehe.«
»Offenbar nicht. Das Töten eines Unbewaffneten, so sehr der Betreffende es auch verdient hat, erfordert eine Absolution. Ich kann ihn nicht eigenhändig töten und dann zum Erzbischof gehen und erneut um Absolution bitten, er würde mich für einen Idioten halten. Habt Ihr schon gebeichtet?«
»Noch nicht.«
»Ausgezeichnet. Dann bringt ihn in den Wald und erledigt ihn dort.«
»Kann das nicht jemand anderes tun?«
»Nein. Und jetzt geht und säumt nicht.«
Und so führte Malik den verängstigten Jungen durch das vom Regen triefende Lager, an den vielen, die Messe leise murmelnden Mönchen und dann an den Vorposten vorbei in den nahen Wald. Mit jedem Schritt sank Malik das Herz bis in die wassertriefenden Stiefel: Zöglinge schikanieren und Prügeln war das eine, aber einem Jungen die Gurgel durchschneiden, noch dazu einem, der Zeuge eines Geschehens geworden war, das Malik selbst mit Gewissensbissen belastete, das war zu viel für ihn. Er musste damit rechnen, morgen vor seinem Schöpfer zu stehen. Als sie außer Sichtweite der anderen im Gebüsch standen, fasste er den Jungen an der Schulter und flüsterte ihm zu: »Ich lass dich jetzt frei. Lauf weiter in diese Richtung und dreh dich nicht um. Hörst du?«
»Ja«, sagte der verängstigte Junge. Malik schnitt die Fesseln durch und schaute zu, wie der Junge weinend und stolpernd in die Dunkelheit lief. Er wartete mehrere Minuten, um die Gewissheit zu haben, dass der Junge in seiner Angst nicht die Richtung verfehlte und wieder zurück in die Vorpostenlinie geriet. Selbst wenn es herauskommen sollte, spielte das morgen keine Rolle mehr. In der Hoffnung, dass dieses Werk der Barmherzigkeit seine vielen anderen Sünden wider die Jugend aufwiegen könnte, wandte sich Malik in Richtung Lager und lief geradewegs ins Messer des Stabsfeldwebels Trevor Beale.
Cale war schon lange vor Tagesanbruch wach. Vague Henri gesellte sich beim ersten Morgendämmern zu ihm, dann Kleist, und als Letzter stieß schließlich IdrisPukke zu ihnen. Im Morgenlicht standen sie auf dem Silbury Hill, von wo aus sie einen umfassenden Blick auf das Schlachtfeld hatten. Silbury Hill war eigentlich ein großer Grabhügel, den ein längst vergessenes Volk aus unbekannten Gründen hier errichtet hatte. Die ebene Anhöhe bot einen ausgezeichneten Aussichtsplatz, nicht so sehr zum Ausspähen der feindlichen Truppenbewegungen – obwohl, von der Seite der Materazzi aus gesehen, das Schlachtfeld offen vor ihnen lag – als vielmehr für das vielköpfige Gefolge des Materazzi-Hofes: Botschafter, Militärattaches, zivile Würdenträger und sogar ein paar hochgestellte Materazzi-Frauen. Unter ihnen war auch Arbell Schwanenhals, die gegen den Widerstand ihres Vaters und Cales, die beide der Meinung waren, sie stelle eine bevorzugte Zielscheibe der Erlösermönche dar und es könne im Getümmel der Schlacht keiner für ihre Sicherheit bürgen, dennoch unbedingt dabei sein wollte. Sie hatte erwidert, wenn andere Materazzi-Frauen anwesend seien, dürfe sie nicht fehlen, sonst müsste sie sich schämen, zumal dieser Krieg eigentlich ihretwegen geführt wurde. Die Soldaten dort unten setzten ihr Leben für ihre, Arbells, Sicherheit ein, es wäre Feigheit, wenn sie sich jetzt nicht zeigte. Sie hatten weiter gestritten, bis der Marschall am Vorabend der Schlacht nachgegeben hatte. Von General Narcisse hatte er die Bestätigung, dass die feindliche Armee zahlenmäßig weit
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