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Die linke Hand Gottes

Die linke Hand Gottes

Titel: Die linke Hand Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Hoffman
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begann mit der Durchquerung des Oxus. Bei Sonnenuntergang hatte auch der letzte Mönch sicher das andere Ufer erreicht. In der letzten Stunde beobachteten Materazzi-Soldaten aus sicherer Entfernung den Übertritt der Kriegermönche, aber sie begnügten sich damit, Meldung an Narcisse zu erstatten.
    Am folgenden Tag aber bot sich den Mönchen nach drei Meilen Marschieren ein Anblick, bei dem Princeps schlagartig begriff, dass seine Armee keine Chance hatte. Die schlammigen Wege waren aufgewühlt wie ein schlecht gepflügter Acker und das Gestrüpp zehn Schritte beiderseits der Wegränder plattgedrückt – hier mussten Zehntausende von Materazzi-Soldaten entlangmarschiert sein. Mit dem Wissen, dass eine feindliche Armee, die um ein Vielfaches größer sein musste als seine eigenen Truppen, zwischen dem jetzigen Standort und der Baring-Enge auf sie wartete, tat Princeps alles Notwendige, um den wichtigsten Zweck in Cales Plan auf jeden Fall zu erfüllen. Er schickte die restlichen Kartografen, nachdem sie von ihrer Geländeaufnahme so viele Kopien wie möglich gezeichnet hatten, verkleidet in alle möglichen Richtungen, in der Hoffnung, dass wenigstens einer die Ordensburg heil erreichen würde. Er ließ eine Messe lesen, dann zogen sie weiter. Zwei Tage lang bekamen sie von den Feinden nichts zu hören und zu sehen, außer den Schlammspuren, die die Materazzi-Armee hinterließ. Dann setzte ein heftiger Regen ein, es schüttete in kalten Güssen. Gegen Wind und Regen ankämpfend, erklomm die Truppe in geordneten Reihen eine steile Anhöhe, doch kaum hatte sie den höchsten Punkt erreicht, sah sie vor sich in der Ebene die Materazzi-Armee, die bereits in großer Zahl Stellung bezogen hatte und sie erwartete. Von beiden Seiten strömten immer neue Soldaten hinzu. Als es zu regnen aufhörte und die Sonne wieder hervorkam, hissten die Materazzi ihre munter in Rot, Blau und Gold flatternden Fahnen und Wimpel, während ihre silbernen Rüstungen im Sonnenschein schimmerten.
    Die Schlacht, die General Princeps eigentlich hatte vermeiden wollen, war nun unausweichlich. Aber nicht an diesem Tag, denn es war mittlerweile fast dunkel geworden. Die Materazzi, deren Anblick den Mönchen die Furcht vor Tod und Verdammnis eingeflößt hatte, lösten ihre Stellungen auf und zogen sich etwas weiter nach Norden zurück. Daraufhin zogen sich auch die Mönche ein Stück weit zurück und suchten Schutz vor der Nacht. Den Bogenschützen befahl Princeps, von den Bäumen beiderseits des Weges vier Ellen lange Äste zu schneiden und daraus Stöcke zur Verteidigung zu schnitzen. Aus Furcht vor einem nächtlichen Angriff verbot Princeps das Feuermachen, damit das Lager für mögliche Angreifer unsichtbar blieb. Durchnässt, frierend und hungrig, lagerten die Mönche im offenen Gelände. Sie nahmen sich die Beichte ab, hörten die Messe und bereiteten sich betend auf den Tod vor. Princeps ging durch die Reihen und teilte geweihte Medaillen des heiligen Judas aus, dem Patron der Verlorenen. Mit allen seinen Männern, angefangen vom Latrinenbauer bis zu den beiden Erzbischöfen, die die schwer bewaffneten Krieger befehligten, betete er für ihre Seelen und seine eigene. »Bedenk, o Mensch«, sagte er aufmunternd zu jedem Priester und Krieger, »Staub bist du und kehrst zurück zum Staube.«
    »Und morgen um diese Zeit werden wir alle zum Staub zurückgekehrt sein«, sagte ein Mönch, woraufhin Princeps, zum Erstaunen seines Adlatus, lachte.
    »Bist du es, Dunbar?«
    »Der bin ich«, erwiderte Dunbar.
    »Nun, da hast du wohl Recht.«

    Die meisten Materazzi waren weniger als eine halbe Meile entfernt. Ihre Lagerfeuer brannten, und die Mönche hörten sie vereinzelt Lieder singen, Flüche über die Erlöser ausstoßen und, zu vorgerückter Stunde, sich ganz normal unterhalten. Stabsfeldwebel Trevor Beale war sogar noch näher. Er, der jetzt dem Generalstab zugeteilt war, lag keine fünfzig Schritte entfernt im Gras, um abzuschätzen, was es für ihn hier zu tun geben könnte.
    In erbärmlicher Verfassung, frierend, hungrig und voller Furcht vor dem morgigen Tag war Pater Colm Malik auf dem Weg zu einem der wenigen Zelte, die die Vierte Armee mitgebracht hatte. »Schließlich ist es alles meine Schuld«, dachte er. »Du hast dich als Freiwilliger gemeldet, dabei hättest du in der Ordensburg eine ruhige Kugel schieben und die Zöglinge ein bisschen piesacken können.«
    Er bückte sich und trat unter der herabhängenden Stoffbahn in den Zelteingang.

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