Die linke Hand Gottes
unterlegen und in einem jämmerlichen Zustand sei. Zuschauer auf Silbury Hill hätten nichts zu fürchten, denn die Anhöhe falle steil ab, eine Erstürmung sei also sehr schwer, und außerdem gebe es einen raschen Fluchtweg. Cales Bedenken wurden weggewischt, er selbst hatte schon den Vorsatz, beim ersten Anzeichen von Gefahr Arbell fortzubringen und sei es mit Gewalt. Sobald er jedoch die Truppenaufstellung im Morgenlicht sah, wichen seine Bedenken.
Das Schlachtfeld bildete ein Dreieck. Seine Position auf Silbury Hill befand sich in der linken Ecke auf der Grundlinie, auf der die fünfundvierzigtausend Mann starke Materazzi-Armee bis zur rechten Ecke in Stellung lag. Die Kriegermönche besetzten den spitzen Winkel des Dreiecks. Zu beiden Seiten befanden sich fast undurchdringliche Wälder, dazwischen dehnte sich ein weites, erst kürzlich gepflügtes Ackerfeld mit einem hellgelb schimmernden Stoppelrand, wo die Materazzi lagen. Die Entfernung zwischen den beiden Armeen betrug ungefähr neunhundert Schritte.
»Wie viele sind es wohl?«, sagte Cale zu Henri und deutete mit dem Kopf zu den Kriegermönchen hinüber.
Vague Henri ließ sich eine halbe Minute Zeit.
»An die fünftausend Bogenschützen. Vielleicht dreizehnhundert Schwertkämpfer.«
»Das muss man Narcisse lassen«, sagte IdrisPukke mit einem Gähnen. »Die Erlöser können nicht zurück, und wenn sie trotzdem angreifen, haut er sie zu Brei. Ich hole mir erst einmal ein Frühstück.« Er und Kleist gingen zu einem alten Diener, der, eine Schale mit braunen Eiern und einen gewaltigen Räucherschinken neben sich, gerade mit krebsrotem Gesicht ein Feuer anblies. Um die Zuschauer, die auf das Frühstück warteten, sprang ein rötlicher Vorstehhund, Anhängsel einer Materazzi-Dame, und wedelte mit dem Schwanz, wohl in der Vorfreude auf einen Happen vom Frühstück.
Während des Essens schwand die Anerkennung für Narcisse. Gewiss, auch kampferprobte, versierte Männer bewunderten seinen Schlachtplan, aber sie waren seit zwanzig Jahren gewohnt, dass in allen Fragen der Rangfolge in der Schlachtreihe Marschall Materazzi das letzte Wort hatte. Er wurde schmerzhaft auf dem Schlachtfeld vermisst, denn nun brachen wieder alte Rivalitäten hervor, ohne dass ein Weg zur Versöhnung erkennbar war. Außerdem hatte Narcisse seinen Schlachtplan dreimal ändern müssen, was übrigens auch große Heerführer oft nicht vermeiden konnten. Nun sollten Adlige, die früher das Kommando an vorderster Front innehatten, sich mit einer unbedeutenden, aber dennoch unerlässlichen Rolle in der Nachhut zufriedengeben. Für sie, die ihren Lebenssinn in Begriffen wie Ehre und Ruhm auf dem Schlachtfeld sahen, kam das einer Degradierung gleich. Der kluge strategische Schachzug, die Erlösermönche in einem engen Feld zum Kampf zu zwingen, wurde nun zu einem Problem, insofern als es für die vielen Adligen mit großer militärischer Erfahrung und erprobtem Kampfesmut nicht genügend Plätze an der vordersten Front gab. Jeder glaubte aber von sich, der am besten Geeignete für diese Aufgabe zu sein, und das zu Recht. Zurückzustecken, um des lieben Friedens willen, schien ihnen ein zu weit gehender Kompromiss, der das Reich gefährden könnte, für dessen Schutz sie doch alle entschlossen waren zu sterben. Jeder wusste einen guten Grund, aufgenommen zu werden, und nur wenige davon waren nicht stichhaltig. Es hätte des ganzen diplomatischen Geschicks und der langjährigen Amtsautorität des Marschalls bedurft, um zu einer Einigung zu gelangen, aber Narcisse, obwohl durchaus ein fähiger General, besaß beides nicht. Am Ende entschied er, dass jeder der Prominenten des Reiches eine Abteilung in vorderster Linie befehligen sollte und dass diejenigen, denen er eine Herabsetzung glaubte zumuten zu dürfen, eine Nebenrolle erhielten. Das machte die Befehlskette umständlich, aber eine bessere Lösung war nicht möglich, zumal sich die Lage durch immer noch hinzuströmende Materazzi, die einen Platz für sich beanspruchten, stündlich komplizierte. Narcisse tröstete sich mit dem Gedanken, dass die Probleme seines Gegners zwar weitaus einfacher waren, dafür aber auch umso schlimmer. Unter dem Vorwand, die Aufstellung des Feindes zu beobachten, verließ er das weiße Zelt und seine endlosen Diskussionen. Unterwegs sah er, wie Simon Materazzi in voller Rüstung seine neu erworbenen Schwertkünste vorführte und dabei von einem Dutzend Soldaten ausgiebig kommentiert wurde. Narcisse nahm einen
Weitere Kostenlose Bücher