Die linke Hand Gottes
überlegte.
»Zweihundertfünfzig Schritte ist schon eine ziemlich lange Distanz. Wie viele Pfeile niederhageln, scheint mir nicht so wichtig. Jeder Materazzi ist von Kopf bis Fuß mit Eisen gewappnet. Den Pfeil, der aus dieser Entfernung durch gehärteten Stahl geht, gibt es nicht. Nicht, dass ich es mir unter solch einem Hagel gemütlich vorstelle, aber die Erlöser können sich glücklich schätzen, wenn einer von hundert Pfeilen sein Ziel trifft. Und bald werden sie nicht genug Pfeile haben, um diese Kadenz durchzuhalten. Wenn das also ihr Plan sein soll...« Und IdrisPukke deutete mit einem Schulterzucken an, was er von dieser Idee hielt.
Cale schaute zu einer Gruppe von fünf Meldern, die ebenfalls von Silbury Hill aus die Erlöser-Armee beobachteten. Einer eilte gerade mit der Nachricht los, dass die Stangen als Palisaden in den Boden getrieben wurden, was man aus der vordersten Reihe der Materazzi nicht ohne Weiteres erkennen konnte. Die Männer hatten eine Weile gebraucht, um herauszubekommen, was der Feind mit den Stangen vorhatte und ob dies wichtig genug war, einen Melder loszuschicken.
Nach dem Abgang des Melders richtete Cale seinen Blick wieder auf die Erlösermönche. Ein Dutzend Bannerträger, die weißen Fahnen mit der roten Gestalt des Gehenkten Erlösers in der Hand, zeigten Flagge. Die Zentenare gaben das Kommando zum Zielen, freilich zu verweht, um aus der Entfernung verstanden zu werden, aber doch eindeutig, da jetzt die Bogenschützen ihre Bogen spannten und sie in die Höhe hielten. Eine kurze Pause, dann ein Ruf des Zentenars und die Banner sanken. Vier dunkle Schwärme von Pfeilen schnellten in Richtung der Materazzi-Front ab.
Nach drei Sekunden hagelten sie auf die eingezogenen Köpfe der Materazzi nieder. Fünftausend Pfeile schwirrten, prasselten, schlugen in die gewappnete Schlachtreihe ein. Die Materazzi duckten sich unter dem Pfeilhagel, als ob sie sich gegen Sturm und Regen stemmten. An den Flanken hörte man das Wiehern von getroffenen Pferden. Dann folgten schon die nächsten fünftausend Pfeile. Zehn Sekunden später wieder. Zwei Minuten lang ging der Pfeilregen über die Materazzi nieder. Wenige starben, wenig mehr wurden verletzt – in dieser Hinsicht behielt IdrisPukke Recht, die Rüstung der Materazzi-Soldaten hielt dem Angriff stand. Doch man bedenke den Druck, unter dem die Männer standen, den Lärm, das Klirren des Stahls, die kurze Atempause und den neuerlichen Pfeilhagel, das Wiehern der Pferde, den Aufschrei der Unglücklichen, die am Auge oder am Hals getroffen wurden – und keiner von ihnen hatte je zuvor einen solchen höllischen Schlag erlebt. Wozu hier weiter festkleben und womöglich einen Pfeil von einem feigen, hinterwäldlerischen Kuttenträger abkriegen, der nicht den Mut hatte, Mann gegen Mann zu kämpfen?
Die Kavallerie, erst auf der linken, dann auf der rechten Flanke, stürmte los, als zwei der eigenen Bannerträger fielen. War es ein Signal? Das war schwer zu sagen im Geschrei der verwundeten Pferde, die eigenen Pferde von Angst ergriffen und bereit loszusprengen, und nur ein schmaler Schlitz im Visier, vor dem sich das kriegerische Schauspiel entfaltete. Drei Pferde gingen in Panik durch. War das schon die Attacke? Keiner wollte als Feigling gelten und weiter zaudern. Wie Athleten bei einem Wettlauf, die sich gespannt beobachten und unruhig auf das Startzeichen warten, so folgte die ganze Abteilung, als die drei losstürmten. Rufe aus den hinteren Reihen, um den Ritt noch anzuhalten, gingen im Lärm ungehört unter – und dann folgte schon der nächste Pfeilhagel.
Plötzlich stürmten die Pferde auf der linken Flanke nach vorn – aus Ungeduld, Panik und Verwirrung.
Narcisse, der vom weißen Zelt aus das Geschehen beobachtete, fluchte wie ein Henker. Doch schon bald erkannte er, dass die Reiter nicht zurückgerufen werden konnten. Er winkte seinem Fähnrich, der Kavallerie auf der rechten Flanke das Zeichen zum Angriff zu geben. Erst jetzt traf der Melder von Silbury Hill ein und warnte ihn vor den Palisaden, die die Bogenschützen auf den Flanken errichtet hatten.
Von seinem erhöhten Standort sah Cale bestürzt und ungläubig zu, wie die Kavallerie zum Angriff überging. Die Reiter brachten ihre Pferde in Formation, rasch bildeten sie eine drei Mann tiefe Schlachtreihe, Knie an Knie, dreihundert Schritte von der Front der Bogenschützen entfernt. Anfangs war das Tempo nicht rascher als das eines Soldaten im Laufschritt, sie standen in den
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