Die linke Hand Gottes
kommt mit schweren Sünden beladen auf die Welt.«
»Das ist doch eine lächerliche Vorstellung.«
»Wirklich?«
»Wie soll ein Neugeborenes eine Sünde begangen haben oder gar eine schwere Sünde?«
Eine Weile blieben beide stumm. »Und wie sollte etwas mit Blut reingewaschen werden?«
»Das ist symbolisch gemeint«, sagte er wie zur Entschuldigung und fragte sich gleichzeitig, wie das gemeint war.
»Ich bin nicht dumm«, erwiderte sie. »Das ist mir schon klar. Aber warum? Warum sollte gerade Blut ein Symbol dafür sein?«
Vague Henri war seinem ganzen Wesen nach jemand, der über alles nachdachte. Doch mit dieser Vorstellung war er von Kindesbeinen an so vertraut gewesen, dass Riba ihn auch hätte fragen können, wozu ihm die Arme nützten und wie wichtig die Augen für ihn waren.
»Wo sind eigentlich die anderen?«, fragte sie schließlich. Da er immer noch über ihre Einwände brütete, antwortete er zerstreut.
»Ach so, die sind weg.«
»Sie haben uns verlassen?«, rief sie mit schreckgeweiteten Augen.
»Nur für ein paar Tage«, beruhigte er sie. »Sie wollen die Spur der Suchtrupps östlich und westlich von uns finden, damit wir ihnen nicht aus Versehen über den Weg laufen.«
»Wie wollen sie uns wiederfinden?«
»Sie sind gut im Spurenlesen«, sagte Vague Henri ausweichend.
»Das verstehe ich nicht«, sagte sie. »Habt ihr nicht gesagt, ihr hättet die Ordensburg fast nie verlassen?«
»Äh... wir machen uns besser auf den Weg. Ich erkläre es dir unterwegs.«
Bosco hob seinen Spazierstock und klopfte zweimal an die Tür.
Obwohl es gut eine halbe Minute dauerte, ehe die Tür aufging, zeigte er keine Ungeduld und blieb überhaupt ohne jede Regung. Vor ihm stand ein hochgewachsener Mönch.
»Habt Ihr eine Audienz?«, fragte der andere.
»Seid nicht albern«, beschied ihn Bosco knapp. »Der Abt will mich sprechen. Deshalb bin ich gekommen.«
»Der Abt befiehlt, keine...«
Bosco trat ungebeten ein. »Sagt ihm, dass ich hier bin.«
»Er ist schlecht auf Euch zu sprechen. Ich habe ihn noch nie so zornig erlebt.«
Bosco ging gar nicht darauf ein. Der Sekretär des Abtes ging an die Tür zu den inneren Gemächern, klopfte und trat ein. Nach einer kurzen Pause kam der Sekretär lächelnd, ohne allerdings heiter zu wirken, wieder zurück.
»Er ist bereit, Euch jetzt zu empfangen.«
Das Zimmer, in das Bosco trat, war so abgedunkelt, dass die Augen des Kriegsmeisters, die doch an Dunkelheit gewöhnt waren, kaum etwas wahrnahmen. Das lag nicht allein an den kleinen Fenstern hinter verschlossenen Läden und auch nicht an den dunklen Wandteppichen, die alte, düstere Märtyrergeschichten erzählten. Nein, der Quell der Dunkelheit schien das Bett in der hinteren Ecke zu sein. Dort saß, gegen ein halbes Dutzend Kissen gelehnt, sehr aufrecht ein Mann. Bosco musste nahe an das Bett treten, um das Gesicht zu erkennen, die bleiche, fast weiße Haut hing lappig von den Wangen und legte sich am Hals in tausend Falten. Die Augen des Mannes waren wässrig trüb, als sei aller Lebensgeist aus ihnen gewichen. Doch kaum hatte er Bosco erkannt, flammte ein Licht auf wie der Strahl eines fernen Leuchtturmes. Der Strahl war genau auf das Gesicht des Kriegsmeisters gerichtet, und was in ihm brannte, waren Hass und Verschlagenheit.
»Ihr habt mich warten lassen!«, begrüßte ihn der Abt mit fester Stimme.
»Ich bin so rasch gekommen, wie ich vermochte, Euer Gnaden.« Er wusste, dass sein Gegenüber ihm das nicht glaubte, und er erwartete es auch gar nicht.
»Bosco, wenn ich Euch rufen lasse, solltet Ihr alles stehen und liegen lassen und Euch eilen.« Er lachte, aber es klang so grauenhaft, dass in der ganzen Ordensburg wohl nur Bosco davon nicht aus der Fassung gebracht wurde. Das Lachen schien aus einem Körper zu kommen, den nur noch Zorn und tiefe Boshaftigkeit am Leben hielten.
»Weswegen habt Ihr mich kommen lassen, Euer Gnaden?« Der Kriegsmeister blickte ihm direkt in die Augen.
»Dieser Zögling Cale.«
»Ja, was ist mit ihm, Euer Gnaden?
»Er hat Euch zum Narren gehalten.«
»Wie das, Euer Gnaden?«
»Ihr hattet Großes mit ihm vor.«
»Das ist Euch wohl bekannt.«
»Er muss unbedingt zurückgebracht werden.«
»Darin bin ich vollkommen mit Euch einig, Euer Gnaden.«
»Gegeißelt muss er werden.«
»Selbstverständlich.«
»Dann gehenkt und gevierteilt.«
Bosco entgegnete darauf nichts.
»Er hat ein hochrangiges Ordensmitglied ermordet. Dafür muss er büßen.«
Bosco besann sich
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