Die linke Hand Gottes
UNSERE WOLLUST!«
»Heiliger Erlöser!«
»KASTEIE UNSERE...«
Und so ging es fort und fort, bis sie bei der ersten Anhöhe an eine scharfe Biegung kamen, wo aus den einhundertundvier Stimmen plötzlich einhundert wurden.
Von den Zinnen der Ordensburg aus beobachtete der Kriegsmeister, wie die Suchtrupps sich in fünf Marschkolonnen aufteilten. Er wartete, bis auch der Letzte aus seinem Blickfeld verschwunden war, erst dann ging er an den Tisch zurück, wo sein Lieblingsfrühstück stand: eine Schüssel mit Kutteln und ein hart gekochtes Ei.
Wäre Riba nicht gewesen, hätten die Jungen vielleicht vierzig Meilen bis zum Einbruch der Dunkelheit geschafft. Das schöne, aber verhätschelte Mädchen war eine Belastung. Wenn sie sich in den vergangenen fünf Jahren überhaupt bewegt hatte, dann nur vom Massagetisch zum Badezuber und von dort, und zwar viermal am Tag, an den gedeckten Tisch, wo gefüllte Weinblätter, Schweinepfötchen in Aspik, Pasteten und andere dickmachende Speisen auf sie warteten. Nun konnte sie genauso wenig vierzig Meilen laufen wie dreißig Meilen fliegen. Anfangs ärgerten sich Kleist und Cale über sie und schimpften mit ihr, aber als klar wurde, dass das arme Mädchen allem Schimpfen, Drohen und sogar Flehen zum Trotz keinen Schritt weitergehen konnte, setzten sie sich und Vague Henri brachte sie dazu, über ihr Leben in den verborgenen Winkeln der Ordensburg zu berichten.
Was sie von ihr hörten, war nicht nur die Erzählung von einem faulen Leben in Luxus und Wärme, es war auch völlig unbegreiflich. Mit jeder Einzelheit aus ihrem Bericht, wie sie und ihre Gefährtinnen verwöhnt wurden, wuchs bei den drei Zöglingen das Erstaunen, warum die Mönche so mit Wesen verfuhren, die sie für eine Lockspeise des Teufels hielten. Und wie passte diese unglaubliche Freundlichkeit zu der barbarischen Behandlung, die Lenas Freundin erleiden musste, eine Abscheulichkeit, die die Jungen den Kriegermönchen nicht zugetraut hätten? Doch es sollte noch lange dauern, bis sie die ganze Wahrheit hinter der schrecklichen Geschichte erfassen würden, in die die drei Jungen, Riba und der Kriegsmeister nun verstrickt waren, seit nämlich Cale das süß duftende Objekt aus der Schale neben dem Seziertisch genommen und in eine selten benutzte Tasche seiner Kutte gesteckt und dort vergessen hatte.
Doch ihnen brannte jetzt anderes auf den Nägeln als das Schicksal der Menschheit, nämlich wie das Überleben mit der schönen, aber schwer beweglichen Riba zu sichern war. Sie schafften zehn Meilen am Tag dank Ribas Willenskraft, mehr vermochte sie nicht. Für ihre Willensanstrengung erntete sie bei den Jungen allerdings keinen Beifall. Kaum hielt die kleine Schar für das Nachtlager an, da schlief sie auch schon auf der Stelle ein. Während die Jungen das Rattenfleisch verspeisten, das Kleist zubereitet hatte, unterhielten sie sich über das weitere Schicksal des Mädchens.
»Lassen wir sie hier liegen und machen wir uns aus dem Staub«, schlug Kleist vor.
»Dann wird sie sterben«, sagte Vague Henri.
»Wir lassen ihr einen Vorrat Wasser da. Im Übrigen«, und dabei warf Kleist einen prüfenden Blick auf ihren fülligen Körper, »wird das eine ganze Weile dauern, bis sie vor Hunger sterben wird.«
»Sterben wird sie so oder so, wenn es in dem Schneckentempo weitergeht, und wir noch gleich mit.« Das waren Cales Worte und damit steuerte er weniger ein Argument als eine schlichte Feststellung bei.
Vague Henri versuchte es mit Schmeichelei. »Das glaube ich nicht, Cale. Du hast die Mönche hinters Licht geführt. Die meinen, wir sind schon über alle Berge. Wahrscheinlich denken sie sogar, wir hätten Helfer gehabt.«
»Wer sollte uns denn gegen die Erlösermönche helfen?«, fragte Kleist.
»Das tut doch nichts zur Sache. Sie glauben, dass uns die Flucht gelungen ist. Und das stimmt ja. Sie werden noch eine ganze Weile brauchen, bis sie wissen, wie wir das geschafft haben, wenn sie es überhaupt herausbekommen. Wir können uns also Zeit lassen.«
»Es wäre viel besser, wenn wir schneller vorankämen«, gab Cale zu bedenken.
»Die kriegen uns, wenn wir weiter so kriechen«, behauptete Kleist. »Ein Trick und ein bisschen Lehm allein reichen nicht, um ihnen auf Dauer zu entkommen.«
»Wir haben schon so viel getan, um ihr Leben zu retten. Da können wir sie jetzt nicht einfach sterben lassen.«
»Doch«, widersprach Kleist. »Das Beste für sie wäre, ihr im Schlaf den Hals durchzutrennen. Das Beste für
Weitere Kostenlose Bücher