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Die linkshändige Frau - Erzählung

Die linkshändige Frau - Erzählung

Titel: Die linkshändige Frau - Erzählung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Blinzeln; oder um den Mund, da verhindert sie ein Mundzucken.« Er rieb sich tatsächlich eine Salbe um die Augen: »Und das ist nun also mein Macht-Starren, mit dem ich hoffe, bald Vorstandsmitglied zu sein.« Er starrte, und Frau und Kind schauten ihn an.
    Er winkte ab, stand auf und sagte zu dem Kind: »Wir gehen am nächsten Sonntag ins Gewächshaus, die fleischfressenden Pflanzen anschauen.Oder ins Planetarium! Da werden wir das Kreuz des Südens sehen, in eine Kuppel projiziert, wie am Nachthimmel – als ob wir wirklich in der Südsee wären.«
    Er brachte die beiden zur Tür; dort sagte er der Frau etwas ins Ohr. Sie schaute ihn an, schüttelte dann den Kopf. Bruno sagte, nach einer Pause: »Es ist nichts geklärt, Marianne«, und ließ sie hinaus. Allein, schlug er sich die Faust ins Gesicht.
    Die Frau und das Kind traten aus dem Bürohaus auf eine stille Straße, wo sie im grellen Winternachmittagslicht geblendet die Augen schlossen. Sie gingen stadteinwärts auf einer befahrenen Straße, mit Bankgebäuden links und rechts, deren eines sich in dem andern spiegelte. An einer Ampel machte das Kind die Haltung der Figur in der Ampel nach, im Stoppen, dann im Überqueren. In der Fußgängerzone blieb es an vielen Schaufenstern stehen, während die Frau weiter vorn wartete. Sie kam jeweils zurück und zog das Kind weg. Alle paar Schritte war für die Abendausgabe einer Massenzeitung plakatiert, mit immer den gleichen Schlagzeilen. In der beginnenden Dämmerung gingen sie über eine Flußbrücke; der Verkehr war sehr stark. Das Kind redete. Die Frau bedeutete ihm, daß sie nichts hörte, und das Kind winkte ab. Sie gingen in derDämmerung am Fluß entlang, wobei sich das Kind in einem andern Rhythmus bewegte als die Frau: es stockte einmal, dann wieder lief es weit voraus, so daß sie entweder warten oder ihm nachlaufen mußte. Eine Zeitlang ging sie neben ihm her und machte ihm mit ihren Schritten nachdrücklich vor, daß es zügiger gehen sollte; trieb es mit stummen Gesten an. Sie stampfte mit dem Fuß auf, als es in einiger Entfernung, kaum sichtbar im Zwielicht, ein Gebüsch anstarrte; dabei brach ihr der Absatz ab. Zwei Burschen gingen ganz nah an ihr vorbei und rülpsten ihr ins Gesicht. Sie gingen in eine öffentliche Toilette am Fluß, wo sie mit dem Kind, das sich nicht allein hineinwagte, in das Männerpissoir mußte. Sie schlossen sich in eine Kabine ein; die Frau machte die Augen zu und lehnte sich mit dem Rücken an die Tür. Über der Trennwand zur Nachbarkabine – die Wand reichte nicht bis zur Decke – erschien plötzlich der Kopf eines Mannes, der nebenan hochsprang; dann noch einmal. Dann zeigte sich das grinsende Gesicht des Mannes zu ihren Füßen, da die Trennungswand auch nicht ganz zum Boden ging. Sie flüchtete mit dem Kind aus der Toilette und rannte weg, stolpernd wegen des kaputten Schuhs. Als sie an einer ebenerdigen Wohnung vorbeikamen, wo schon ein Fernseher an war, flog da gerade ein riesiger Vogel im Vordergrund durch das Bild. Eine alte Frau fiel mittenauf der Straße vornüber, auf das Gesicht. Zwei Männer, deren Autos zusammengestoßen waren, liefen aufeinander zu, und der eine versuchte den andern zu schlagen, während dieser ihn nur festhielt. Es war fast Nacht, und sie standen mitten in der Stadt, zwischen zwei Bankhochhäusern, an einer Imbißbude, wo das Kind eine Brezel aß; der Verkehrslärm war so stark, als sei eine gleichmäßige Katastrophe im Gang. Ein Mann trat gekrümmt an die Bude heran und verlangte, die Hand auf das Herz gepreßt, ein Glas Wasser, das er dann mit einer Pille schluckte. Er hockte sich hin; kauerte sich zusammen. Die Abendglocken läuteten von den Kirchen, ein Feuerwehrwagen fuhr vorbei, dann mehrere Rotkreuzwagen mit Blaulicht und Sirene. Das Licht zuckte über das Gesicht der Frau; auf ihrer Stirn waren Schweißperlen, ihre Lippen zerschrunden und ausgetrocknet.
    Am späten Abend stand sie zu Hause an der langen fensterlosen Seitenwand des Wohnraums, im Halbschatten der Leselampe über dem Schreibtisch. Es war eine große Stille; fernes Hundegebell. Dann das Telefon; sie ließ es einige Male läuten. Sie meldete sich leise. Der Verleger sagte auf französisch, ihre Stimme sei so seltsam heute.
    Die Frau: »Das mag daher kommen, daß ich gerade arbeite. Es ist mir aufgefallen, daß sich dabeimeine Stimme verändert.«
    Der Verleger: »Sind Sie allein?«
    Die Frau: »Das Kind ist bei mir, wie immer. Es schläft.«
    Der Verleger: »Ich bin auch

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