Die linkshändige Frau - Erzählung
los und schaute nur weg.
In der Nacht saß die Frau am Tisch; sie weinte, ohne Laut, ohne Bewegung.
Am Tag ging sie draußen auf einer geraden Straße in einer ebenen, baumlosen, zugefrorenen Landschaft. Sie ging immer weiter, immer geradeaus. Sie ging noch so, als es schon dunkel wurde.
Im Kino des kleinen Ortes saß sie im Saal, die beiden Kinder rieben sich, bei dem Katastrophengelärme eines Zeichentrickfilms. Es fielen ihr die Augen zu. Sie nickte ein, weckte sich wieder. Dann sank ihr der Kopf auf die Schulter des Kindes, das mit offenem Mund weiter den Film anschaute. Sie schlief so, den Kopf auf der Schulter des Kindes, bis zum Ende des Films.
In der Nacht stand sie vor der Schreibmaschine und las sich vor, was sie geschrieben hatte: »›Und niemand hilft Ihnen?‹ fragte der Besucher. – ›Nein‹, antwortete sie. ›Der Mann, von dem ich träume, das wird der sein, der in mir die Frau liebt, die nicht mehr von ihm abhängig ist.‹ – ›Und was werden Sie an ihm lieben?‹ – ›Diese Art Liebe.‹« Sie hob wieder die Achseln; streckte plötzlich die Zunge heraus.
Sie lag im Bett, mit offenen Augen. Auf dem Nachttisch daneben waren ein Glas Wasser und ein Schnappmesser. Draußen wurde heftig an die Jalousie geschlagen. Sie ließ das Messer aufspringen, stand auf und zog sich einen Morgenmantel an. Es war Brunos Stimme: »Mach sofort auf, oder ich trete die Tür ein. Mach auf, oder ich sprenge das Haus in die Luft!« Sie legte das Messer weg, schaltete Licht an, öffnete die Tür zur Terrasse und ließ Bruno herein. Er war im offenenMantel und Hemd. Sie standen einander gegenüber; gingen durch den Flur in den Wohnraum, wo Licht brannte. Dort standen sie einander wieder gegenüber.
Bruno: »Du läßt nachts das Licht an.« Er schaute um sich: »Umgeräumt hast du auch.« Er nahm ein paar Bücher in die Hand: »Ganz andre Bücher sind das jetzt.« Er näherte sich der Frau: »Du hast wahrscheinlich auch die Toilettentasche nicht mehr, die ich dir aus dem Fernen Osten mitgebracht habe.« Die Frau: »Willst du nicht den Mantel ablegen? – Möchtest du ein Glas Wodka?«
Bruno: »Dann sag doch gleich Sie zu mir.«
Nach einer Pause: »Und du? Hast du schon Krebs?«
Die Frau antwortete nicht.
Bruno: »Ist es gestattet, hier zu rauchen?« Er setzte sich, während sie stehenblieb.
Bruno: »Du läßt es dir also gutgehen, allein mit D EINEM Sohn, in einem schönen warmen Haus mit Garten und Garage, in der guten Luft! Wie alt bist du eigentlich? Bald wirst du einen faltigen Hals haben, und aus deinen Leberflecken werden Haare wachsen. Dünne Froschbeine, und der Körper darüber ein Plundersack. Älter und älter wirst du werden und sagen, daß dir das nichts ausmacht, und eines Tages wirst du dich aufhängen. Du wirst so unbeleckt ins Grab abstinken,wie du gelebt hast. Wie vergeht dir denn die Zeit bis dahin? Wahrscheinlich sitzt du herum und beißt an den Fingernägeln, nicht wahr?«
Die Frau: »Schrei nicht, das Kind schläft.«
Bruno: »Du sagst ›das Kind‹ – als ob es für mich keinen Namen mehr haben dürfte! Und immer vernünftig bist du! Ihr Frauen mit eurer mickrigen Vernünftigkeit! Mit eurem brutalen Verständnis für alles und jeden! Und nie ist euch langweilig, euch Taugenichtsen. Ganz begeistert sitzt ihr herum und laßt die Zeit vergehen. Weißt du, warum nie was aus euch werden kann? Weil ihr euch nie allein betrinkt! Wie eitle Fotos von euch selber lümmelt ihr in euren wohlaufgeräumten Wohnungen. Geheimnistuer seid ihr, quiekend vor Nichtigkeit, patente Kameraden, die andre ersticken mit ihrer stumpfsinnigen Menschlichkeit, Entmündigungsmaschinen für alles Lebendige. Am Boden schnüffelnd, krabbelt ihr kreuz und quer, bis euch der Tod den Mund aufreißt.« Er spuckte zur Seite: »Du und dein neues Leben! Ich habe noch nie eine Frau gesehen, die ihr Leben auf die Dauer geändert hat. Nichts als Seitensprünge – danach wieder die alte Leier. Weißt du was? Das, was du jetzt tust, wirst du später als vergilbte Zeitungsausschnitte durchblättern, als einziges Ereignis in deinem Leben! Und dabei wird dir klar werden, daß du nur der Mode nachgelaufen bist: Mariannes Wintermode!«
Die Frau: »Das hast du dir vorher ausgedacht, nicht wahr? Du willst gar nicht mit mir reden, gar nicht mit mir sein.«
Bruno schrie: »Lieber spräche ich mit einem Gespenst!«
Die Frau: »Du siehst furchtbar traurig aus, Bruno.«
Bruno: »So was sagst du doch nur, um mich zu entwaffnen.«
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