Die linkshändige Frau - Erzählung
schwiegen lange. Dann lachte Bruno; er drehte sich weg, faßte sich gleich wieder: »Ich bin zu Fuß hierhergekommen. Ich wollte dich zerstören.« Die Frau näherte sich ihm, und er sagte: »Rühr mich nicht an. Bitte, rühr mich nicht an.« Nach einer Pause: »Manchmal glaube ich, du machst nur einen Versuch mit mir; das, was sich ereignet, soll mich auf die Probe stellen. Dieser Gedanke beruhigt mich ein wenig.« Nach einer Pause: »Gestern habe ich mir einmal gedacht, es wäre ab und zu ganz freundlich, wenn es einen Gott gäbe.«
Die Frau schaute ihn lange an und sagte: »Du hast dir ja den Bart abrasiert.«
Bruno winkte ab: »Schon vor einer Woche. – Und du hast neue Vorhänge.«
Die Frau: »Aber nein, es sind doch die alten. – Stefan würde sich freuen, wenn du ihm einmal schriebest.«
Bruno nickte, und die Frau lächelte.
Er fragte sie, warum sie lache.
Sie sagte, es sei ihr nur gerade aufgefallen, daß er seit Tagen der erste Erwachsene sei, mit dem sie redete.
Nachdem beide lange, mit kleinen Gesten, die jeder für sich machte, dagestanden waren, fragte Bruno, wie es ihr gehe.
Die Frau erwiderte, als ob sie gar nicht von sich spräche, ganz ruhig: »Man wird leicht müde, in einer Wohnung, allein.«
Sie begleitete ihn auf die Straße. Sie gingen nebeneinander her bis zur Telefonzelle. Plötzlich blieb Bruno stehen und legte sich auf die Erde, mit dem Gesicht nach unten. Sie hockte sich neben ihn.
Am kalten Vormittag saß die Frau im Schaukelstuhl auf der Terrasse, ohne zu schaukeln. Das Kind stand neben ihr und betrachtete die Atemwolken, die aus seinem Mund kamen. Die Frau schaute in die Ferne; im Fenster hinter ihr waren die Fichten gespiegelt.
Am Abend in dem kleinen Ort ging sie durch fast leere Straßen, wie auf ein Ziel zu. Vor einem großen ebenerdigen, beleuchteten Fenster hielt sie an. Drinnen saß eine Gruppe von Frauen in einer Art Schulraum mit Tafel, wo Franziska gerade mit Kreide einen volkswirtschaftlichen Ablauf aufzeichnete, ohne daß man sie hörte. Die Hefte wurdenzugeklappt, und Franziska gesellte sich zu den andern. Sie sagte etwas, worauf die andern lachten, nicht laut heraus, eher in sich gekehrt. Zwei Frauen hatten die Arme umeinander gelegt. Eine rauchte Pfeife. Eine andere wischte der Nachbarin gerade etwas von der Wange. Franziska hörte zu reden auf, und ein paar Frauen hoben die Hand. Franziska zählte ab, und dann hoben ein paar andre Frauen die Hand. Schließlich klopften alle wie zum Beifall auf die Tische. Das Bild der Frauen schien friedlich: als sei es keine Gruppe, sondern als seien es Einzelne, die aus Bedürfnis sich einander zuwandten.
Die Frau entfernte sich vom Fenster. Sie ging in der leeren kleinen Stadt. Die Kirchturmuhr schlug. Als sie an der Kirche vorbeikam, wurde darin gesungen, und die Orgel spielte.
Sie betrat die Kirche und stellte sich seitlich abseits. Mehrere Leute standen zwischen den Bänken und sangen dem Priester nach; dazwischen hustete jemand. Ein Kind saß unter den Stehenden, den Daumen im Mund. Die Orgel brauste. Nach einiger Zeit ging die Frau hinaus.
Sie bewegte sich in der nächtlichen Allee auf die Siedlung zu und machte dabei Gesten, als ob sie mit sich selber spräche.
In der Nacht stand sie allein in der Küche und trank ein Glas Wasser leer.
Am hellen Mittag saßen die Frau und Franziska, gut zugedeckt beide, nebeneinander auf der Terrasse in zwei Schaukelstühlen. Sie schauten den Kindern zu, die den trockenen Christbaum zerhackten und ein Feuer damit machten.
Nach einiger Zeit sagte Franziska: »Ich verstehe ja, daß du nicht zu uns hereinkommen konntest. Auch ich erlebe manchmal Augenblicke, vor allem, wenn ich dabei bin, von der stillen Wohnung zu den Treffen zu gehen, wo ich plötzlich todmüde werde vor Unlust, in Gesellschaft zu sein …«
Die Frau: »Ich warte auf dein Aber.«
Franziska: »Früher ging es mir auch so wie dir. Ich konnte zum Beispiel eines Tages nicht mehr sprechen. Ich verständigte mich, indem ich auf Zettel schrieb. Oder ich stand stundenlang vor dem offenen Schrank und weinte, weil ich nicht wußte, was ich anziehen sollte. Einmal war ich mit einem Freund auf dem Weg irgendwohin und ging plötzlich nicht mehr weiter. Ich stand da, und er redete auf mich ein. Damals war ich freilich noch viel jünger … Hast du denn kein Verlangen nach Glück, mit anderen zusammen?«
Die Frau: »Nein. Ich möchte nicht glücklich sein, höchstens zufrieden. Ich habe Angst vor dem Glück. Ich glaube,
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