Die Liste der vergessenen Wünsche: Roman (German Edition)
der Lage gewesen, all das gründlich zu durchdenken. Aber eins wusste Clara sicher: Sie hatte nicht erwartet, dass sie Lincoln so sehr vermissen würde. Bei weitem nicht. Sein plötzliches Fehlen schmerzte, und sie fühlte sich seltsam aus dem Gleichgewicht geraten. Dennoch war sie entschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen, und nun musste sie mit den Konsequenzen leben. Schließlich hatte sie Lincoln schon genug unerfreuliches Gefühlsdrama zugemutet, eine Fortsetzung wäre selbstsüchtig und nicht fair.
Zunächst versuchte Clara, den quälenden Kummer loszuwerden, indem sie einfach auf gute altmodische Art die Tatsachen ignorierte und behauptete, dass es völlig normal wäre, Lincoln zu vermissen, angesichts der vielen Zeit, die sie miteinander verbracht hatten. Im Laufe des letzten Monats waren sie praktisch unzertrennlich gewesen. Natürlich vermisste sie ihn nun! Sie würde mit der Zeit darüber hinwegkommen, weitergehen, und irgendwann wäre die Sache erledigt.
Sie unterdrückte ihre Gefühle und stürzte sich auf die letzten verbleibenden Punkte auf ihrer To-do-Liste. Auch wenn der Betonbalkon des Richters, der vom Wohnzimmer abging, nicht gerade groß war, bot er doch genug Platz und bekam nachmittags genug Sonne, dass Clara dort einen winzigen Garten anlegen konnte. In der örtlichen Gärtnerei kaufte sie eine Reihe von Kräutern, wie Petersilie, Basilikum, Oregano und auch Minze, die, wie Alejandro, der sachkundige Angestellte in der Gärtnerschürze, betonte, »kaum totzukriegen« und »lecker in Cocktails« sei.
»Gekauft«, hatte Clara gesagt und sich in dem Versuch, gut gelaunt zu klingen, ein kleines Lächeln abgerungen. Da es bereits August war und das Wetter bald kühler werden würde, waren ihre Möglichkeiten begrenzt, und sie musste sich auf spätblühende Pflanzen beschränken, die jetzt noch gedeihen würden. Also wählte Clara ihre alten, wackeren Lieblingsblumen, die Chrysanthemen, und entschied sich für zwei verschiedene Sorten.
»Chrysanthemen sind der Hoffnungsstrahl in finsteren Zeiten«, sagte Alejandro, nicht ahnend, dass dies genau der Grund war, warum Clara sie so mochte.
»Dann sollte ich vielleicht noch mehr davon kaufen«, witzelte sie mit brüchiger Stimme.
Nachdem Alejandro noch Herbstkrokus und violetten Zierkohl in Claras Wagen gepackt hatte, riet er ihr außerdem zu Astern. »Die sind größer als Chrysanthemen, also geben sie Ihrem Garten eine zusätzliche Dimension«, erklärte er.
»Und nur dass wir uns richtig verstehen, all diese Pflanzen wachsen auch wirklich auf einem Balkon?«
» Ja «, bestätigte ihr Alejandro noch einmal. »Absolut. Warum schauen Sie denn so skeptisch?«
»Ich weiß nicht.« Sie zuckte mit den Schultern und hob die Hände. »Ich denke, das ist eben einfach so meine Art.«
»Tja, das sollten Sie besser schleunigst ändern.« Er zwinkerte Clara grinsend zu. »Zweifel und Gärtnern sind keine guten Freunde. Der Garten merkt das …« Er nickte bekräftigend. »Sie werden sehen. Glaub dran, und es wächst. So einfach ist das.«
»Glaub dran, und es wächst«, wiederholte Clara und musste plötzlich an die fleischfressende Pflanze aus dem Musical »Der kleine Horrorladen« denken. »Verstanden. Guter Rat.«
»Und gießen Sie sie nicht zu viel. Das ist der am weitesten verbreitete Fehler.«
»Geht klar. Ach, und noch eine Frage … Haben Sie auch Avocadopflanzen?«
»Hinten im Gewächshaus. Aber leider wachsen Avocados nicht im hiesigen Klima. Sie brauchen stetige Wärme.«
»Verstehe. Aber ich muss es trotzdem versuchen, Alejandro«, erklärte Clara und ballte träge die Faust. »Glaub dran, und es wächst.«
»Na also!«, sagte er. »Sie lernen schnell. Aber damit in Chicago Avocados wachsen, wird es trotzdem un milagro brauchen.«
» Milagro ?«
»Ein Wunder!«, übersetzte Alejandro.
»Na, großartig …«
Die folgenden drei Stunden verbrachte Clara zusammen mit Mon Chéri auf dem Balkon und pflanzte an, während die Sonne sich über der stählernen Skyline der Stadt nach Westen schob. Sie versuchte ohne durchschlagenden Erfolg, nicht an Lincoln zu denken, der, wie sie vermutete, wohl gerade damit beschäftigt war, sein Argentinien-Abenteuer vorzubereiten, und sich auf das Erlebnis seines Lebens beim Ausgraben uralter Knochen am anderen Ende der Welt freute. Na ja, wenigstens einer von ihnen würde Spaß haben, dachte sie, während sie bis zu den Ellenbogen in Blumenerde steckte.
Als das
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