Die Liste
zu Boden warf, rasten mir die verschiedensten Gedanken durch den Kopf. Wo war mein Revolver? Griffen die Padgitts die Stadt an? Waren Sergeant Durant und seine Männer hinter mir her? Auf Händen und Knien kroch ich zu meiner Aktentasche, während weitere Schüsse durch die Luft knallten. Es klang, als kämen sie von der anderen Straßenseite, aber verängstigt, wie ich war, konnte ich das nicht mit Sicherheit sagen. Seit die Kugel in meinem Büro eingeschlagen war, hörten sich die Schüsse viel lauter an.
Ich drehte die Aktentasche um und leerte sie, bevor mir einfiel, dass der Revolver entweder im Auto oder zu Hause lag. Ich war unbewaffnet und fühlte mich wie ein richtiger Schwächling, weil ich mich nicht selbst verteidigen konnte. Dabei hatten Harry Rex und Rafe mich gut vorbereitet.
Ich war vor Schreck wie gelähmt. Dann fiel mir ein, dass Bigmouth Bass unten in seinem Büro war und wie die meisten echten Männer ein ganzes Waffenarsenal griffbereit hatte. In seinem Schreibtisch lagen Pistolen und Revolver, und an der Wand hingen zwei Jagdgewehre, nur für den Fall, dass er während der Mittagspause den Drang 285
verspürte, einen Hirsch zu schießen. Jeder, der mich erledigen wollte, würde auf den erbitterten Widerstand meiner Mitarbeiter stoßen. Zumindest hoffte ich das.
Plötzlich trat Stille ein. Dann wurden auf den Straßen panische Rufe laut, Chaos brach aus. Es war fast vierzehn Uhr, eine Zeit, zu der das Stadtzentrum normalerweise sehr belebt war. Ich kroch unter meinen Schreibtisch, wie ich es bei den Tornado-Übungen gelernt hatte. Von irgendwo unter mir hörte ich Bigmouth schreien: »Bleibt in euren Büros!« Ich sah ihn geradezu vor mir, wie er nach einem Gewehr und einer Schachtel Patronen griff und sich konzentriert in einen Türdurchgang duckte. Einen schlech-teren Ort konnte sich ein Wahnsinniger nicht aussuchen, um herumzuschießen. Am Clanton Square lagen Tausende Feuerwaffen griffbereit. In jedem Pick-up steckten zwei Gewehre in der Halterung über dem Rückfenster, während unter dem Sitz eine Schrotflinte lag. Die Leute warteten nur darauf, ihre Waffen einsetzen zu können.
Es würde nicht lange dauern, bis die Einheimischen das Feuer erwiderten. Dann würde es zu einem richtig hässlichen Krieg kommen.
Erneut fielen Schüsse. Wie in Zeitlupe verstrichen die Sekunden, während ich unter meinem Schreibtisch saß und versuchte, normal zu atmen und die Situation zu analysieren. Irgendwann gelangte ich zu der Ansicht, dass die Schüsse nicht näher kamen. Offenbar richtete sich der Angriff nicht gegen mich. Mein Fenster musste zufällig getroffen worden sein. Sirenengeheul ertönte, dann ertönten weitere Schüsse. Menschen schrien. Was war bloß los?
Unten klingelte ein Telefon, und jemand nahm eilig ab.
»Willie! Alles in Ordnung?«, brüllte Bigmouth vom Fuß der Treppe.
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»Ja!«
»Auf dem Gerichtsgebäude sitzt ein Heckenschütze!«
»Toll!«
»Bleiben Sie in Deckung!«
»Keine Sorge!«
Ich entspannte mich ein wenig und kroch gerade so weit hervor, dass ich mein Telefon erreichen konnte. Ich rief Wiley Meek zu Hause an, aber er war bereits zu uns unterwegs. Dann robbte ich über den Boden zu einer der Fenstertüren auf den Balkon und öffnete sie. Das erregte offenbar die Aufmerksamkeit des Heckenschützen. Einen guten Meter über mir zersplitterte eine Scheibe, und ein schwerer Glasregen ergoss sich über mich. Ich ließ mich auf den Bauch fallen und hielt eine Ewigkeit lang den Atem an. Das Gewehrfeuer war unerbittlich. Wer auch immer der Schütze war, er schien sich über irgendetwas gewaltig geärgert zu haben.
Acht Schüsse, die draußen auf dem Balkon viel lauter klangen als drinnen. Fünfzehn Sekunden Pause, als er nachlud, dann acht weitere Schüsse. Glas splitterte, Kugeln prallten von den Backsteinen ab, durchschlugen Holzpfosten. Mitten in diesem Sperrfeuer verstummten die Stimmen.
Als ich es wieder wagte, mich zu bewegen, kippte ich vorsichtig einen der Schaukelstühle auf die Seite und verkroch mich dahinter. Der Balkon hatte ein schmiedeeisernes Geländer, das mir zusammen mit dem Stuhl ausreichend Deckung bot. Ich weiß nicht genau, warum ich näher an den Heckenschützen heranwollte, aber ich war vierundzwanzig und Eigentümer einer Zeitung.
Mir war klar, dass ich einen langen Bericht über diesen dramatischen Zwischenfall schreiben würde. Ich brauchte Einzelheiten.
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Als ich schließlich zwischen Stuhl und Geländer durch-spähte, entdeckte
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