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Die Liste

Die Liste

Titel: Die Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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den großen Mahlzeiten.
    Im Gegensatz zu ihrer Mutter hatte keines der Ruffin-Kinder auch nur ein Pfund zu viel auf den Rippen. Bald wusste ich auch, warum. Sie beschwerten sich, dass sie nirgendwo sonst solches Essen bekamen. Wo sie lebten, sei das Essen geschmacklos, häufig tiefgefroren und stamme aus der Massenproduktion. Oft würden ausländische Gerichte angeboten, die sie nicht vertrügen.
    Und die Menschen würden so hastig essen. Die Liste der Klagen wurde immer länger.
    Ich vermutete, sie waren von Miss Callies Kochkunst so verwöhnt, dass sie mit nichts anderem mehr zufrieden sein konnten.
    Carlota, die unverheiratet war und an der University of California in Los Angeles Stadtplanung unterrichtete, schilderte die neuesten wahnwitzigen Trends, die Kalifornien heimsuchten, besonders anschaulich. Der letzte Schrei seien rohe Speisen. So bestehe ein Mittagessen aus einem Teller roher Karotten und rohem Sellerie, der mit einer kleinen Tasse heißem Kräutertee hinuntergespült würde.
    Gloria, die an der Duke University Italienisch lehrte, galt als die Glücklichste der sieben, weil sie noch in den Südstaaten lebte. Sie und Miss Callie tauschten sich über die verschiedenen Rezepte für Maisbrot, Brunswick Stew und sogar Kohl aus. Aus diesen Gesprächen entwickelten sich häufig ernsthafte Erörterungen, bei denen auch die Männer ihre Ansichten äußerten und Anmerkungen machten. Mehr als einmal kam es dabei zum Streit.
    Nach einem dreistündigen Mittagessen bat Leon (Leonardo) mich, ihn in seinem Auto zu begleiten. Er war der Zweitälteste und wirkte wirklich wie ein Professor, 279

    was man von den anderen nicht behaupten konnte. Er hatte einen Bart, rauchte Pfeife, trug ein Tweedjackett mit abgewetzten Ellbogenflicken und verwendete ein Vokabular, das er stundenlang eingeübt haben musste.
    Wir fuhren in seinem Auto durch die Straßen von Clanton. Er fragte nach Sam, und ich erzählte, was ich wusste. Meiner unmaßgeblichen Meinung nach war es für ihn zu gefährlich, nach Ford County zu kommen.
    Leon interessierte sich auch für den Prozess gegen Danny Padgitt. Ich hatte die Times an alle Ruffins geschickt, und in einem von Baggys Artikeln wurde Dannys Drohung gegen die Geschworenen erwähnt. Wenn ihr mich verurteilt, mache ich euch fertig, und zwar jeden Einzelnen von euch!
    »Kommt er jemals wieder aus dem Gefängnis heraus?«, fragte Leon.
    »Ja«, gab ich widerstrebend zu.
    »Wann?«
    »Das weiß niemand. Er wurde sowohl wegen Mordes als auch wegen Vergewaltigung zu lebenslänglich verurteilt.
    Zehn Jahre ist die Mindeststrafe für jedes dieser Verbrechen, aber in Mississippi soll es höchst merkwürdige Bedingungen für eine vorzeitige Entlassung auf Bewährung geben.«
    »Dann bleibt er also für mindestens zwanzig Jahre in Haft?« Wahrscheinlich überlegte er, wie alt seine Mutter, die jetzt neunundfünfzig war, dann sein würde.
    »Das lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Bei guter Führung kann die Mindeststrafe herabgesetzt werden.«
    Er wirkte ebenso verwirrt, wie ich es gewesen war.
    Tatsächlich hatte niemand, der sich mit dem Justizsystem oder dem Strafrecht auskannte, meine Fragen beantworten 280

    können. Vorzeitige Entlassungen auf Bewährung waren ein Thema, das in Mississippi ein riesiges schwarzes Loch dar stellte, dem ich nicht zu nahe kommen wollte.
    Leon erzählte, dass er seine Mutter eingehend über das Urteil ausgefragt hatte. Vor allem habe er wissen wollen, ob sie für lebenslänglich oder für die Todesstrafe gestimmt habe. Sie erwiderte, die Geschworenen hätten sich verpflichtet, den Inhalt ihrer Beratungen geheim zu halten.
    »Was wissen Sie?«, fragte er.
    Nicht viel. Sie hatte mir gegenüber zwar angedeutet, dass sie mit dem Urteil nicht einverstanden gewesen war, aber nichts Genaueres gesagt. In den Wochen nach dem Prozess hatten sich die Vermutungen überschlagen. Die meisten »Experten« glaubten, dass sich drei, vielleicht vier Geschworene geweigert hatten, für die Todesstrafe zu stimmen. Man ging davon aus, dass Miss Callie nicht zu dieser Gruppe gehört hatte.
    »Haben die Padgitts diese Perspnen unter Druck gesetzt?«, wollte er wissen, als wir in die lange, schattige Auffahrt zur Highschool von Clanton bogen.
    »Viele glauben das, aber niemand weiß es wirklich. Es ist vierzig Jahre her, dass in diesem County ein weißer Angeklagter zum Tode verurteilt wurde.«
    Er hielt den Wagen an, und wir blickten auf die massiven Eichentüren der Schule. »Jetzt ist die

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