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Die Liste

Die Liste

Titel: Die Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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hatte mich in Syracuse damit vergnügt, auf dem Campus zu demonstrieren und durch die Straßen zu marschieren, doch hier, im tiefen Süden, waren solche Aktivitäten unbekannt. Wir geboten dem Kommunismus Einhalt, und die Hippies, Radikalen und Friedensbewegten im Norden und in Kalifornien hatten schlichtweg Angst, zu kämpfen.
    Ich erstand bei den Gartendamen eine Portion Erdbeer-eis. Während ich über den Rasen spazierte, hörte ich plötzlich Lärm. Aus dem Fenster des Trinkzimmers im zweiten Stock hatte ein Witzbold ein Abbild von Baggy heruntergelassen. Die ausgestopfte Puppe hielt die Arme über den Kopf – ganz wie der echte Baggy – und trug ein Schild mit der Aufschrift »SUGGS« auf der Brust. Aus jeder Hosentasche ragte eine leere Flasche Jack Daniel’s hervor.
    Ich hatte Baggy an jenem Tag noch nicht gesehen und würde ihn auch nicht zu Gesicht bekommen. Später sollte er behaupten, er habe von dem Scherz nichts mitbe-kommen. Wiley gelang es, zahlreiche Fotos von Baggys Ebenbild zu schießen, was mich nicht weiter überraschte.
    311

    »Theo Morton ist hier!«, schrie plötzlich jemand, was die Menge in große Aufregung versetzte. Theo Morton saß seit langem im Senat des Staates. Vier Countys gehörten teilweise zu seinem Bezirk, und obwohl er in Baldwin lebte, stammte seine Frau aus Clanton. Er besaß zwei Pflegeheime und einen Friedhof und zeichnete sich dadurch aus, dass er drei Flugzeugabstürze hingelegt und überlebt hatte. Mittlerweile flog er nicht mehr selbst. Theo Morton war eine schillernde Gestalt – schroff, sarkastisch, witzig und als Redner unberechenbar. Sein Gegner war ein junger Mann, der soeben das Jurastudium abgeschlossen hatte und angeblich irgendwann Gouverneur werden wollte. Er hieß Warren und beging den Fehler, Morton wegen eines zweifelhaften Gesetzes anzugreifen, das dieser angeblich in der letzten Sitzungsperiode »durchge-drückt« hatte, um die Unterstützung des Staates für Pflegeheime zu erhöhen.
    Es war ein erbitterter Angriff. Ich stand in der Menge und beobachtete, wie Warren seine Attacke ritt, während ich direkt über seiner linken Schulter »Suggs« aus dem Fenster hängen sah.
    Morton begann damit, dass er seine Frau Rex Ella, eine geborene Mabry aus Clanton, vorstellte. Er sprach über ihre Eltern und Großeltern, Tanten und Onkel, und es dauerte nicht lange, bis das halbe Publikum Erwähnung gefunden hatte. Clanton war seine zweite Heimat, hier waren sein Bezirk, seine Leute, seine Wähler, für die er sich drüben in Jackson so einsetzte.
    Es war eine brillante, flüssige Stegreifansprache. Ich hatte einen meisterhaften Wahlkampfredner vor mir.
    Morton war Vorsitzender des Straßenbauausschusses im Senat des Bundesstaates, und einige Minuten lang prahlte er mit all den neuen Straßen, die er im Norden Mississippis gebaut habe. Sein Ausschuss befasse sich pro 312

    Sitzungsperiode mit vierhundert unterschiedlichen Gesetzen. Vierhundert! Vierhundert Gesetzesvorlagen oder Gesetze! Als Vorsitzender sei er dafür verantwortlich, dass gute Gesetze verabschiedet würden.
    Das sei die Aufgabe der Senatoren des Bundesstaates: gute Gesetze zu verfassen und schlechte abzuschaffen.
    Sein junger Gegner habe soeben sein Jurastudium abgeschlossen, das sei eine große Leistung. Er selbst, Theo Morton, habe leider nicht studieren können, weil er im Zweiten Weltkrieg gegen die Japaner habe kämpfen müssen. Aber anscheinend habe sein junger Gegner sein Jurastudium vernachlässigt. Sonst hätte er die Anwaltsprüfung sicherlich auf Anhieb bestanden. Stattdessen »ist er bei der Anwaltsprüfung durchgefallen, meine Damen und Herren«.
    Es war perfektes Timing, dass jemand direkt hinter seinem Herausforderer brüllte: »Das ist eine verdammte Lüge!« Die Menge sah Warren an, als hätte er den Verstand verloren. Morton drehte sich nach der Stimme um und sagte ungläubig: »Eine Lüge?«
    Er griff in seine Tasche und holte ein zusammengefaltetes Stück Papier heraus. »Ich habe den Beweis hier in meiner Hand!« Er hielt das Blatt an einer Ecke und wedelte damit herum. Ohne auch nur ein einziges Wort von dem vorzulesen, was da stehen mochte, sagte er: »Wie kann jemand für uns Gesetze verfassen, der noch nicht einmal die Anwaltsprüfung bestanden hat? Mr Warren und ich stehen auf derselben Stufe – keiner von uns hat die Anwaltsprüfung geschafft. Nur hat er dafür drei Jahre lang Jura studiert.«
    Mortons Anhänger brüllten vor Lachen. Warren wich nicht von der Stelle,

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