Die Liste
obwohl er am liebsten die Flucht ergriffen hätte.
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Doch Morton war noch nicht fertig mit ihm. »Er hätte in Mississippi studieren sollen und nicht in Tennessee, dann würde er unsere Gesetze vielleicht verstehen!«
Er war berühmt für solche öffentlichen Gemetzel.
Einmal hatte er eine »eidesstattliche Erklärung« aus der Tasche gezogen, aus der angeblich hervorging, dass sein Gegner, ein früherer Pastor, eine Affäre mit der Frau eines Diakons hatte. Der Vorwurf blieb hängen, obwohl die eidesstattliche Erklärung nie verlesen wurde.
Die Begrenzung der Redezeit auf zehn Minuten bedeutete Morton nichts. Er überschritt sie mühelos mit einer Reihe von Versprechungen, wie die Steuern zu senken, Verschwendung zu bekämpfen und dafür zu sorgen, dass Mörder häufiger zum Tode verurteilt wurden.
Als er sich schließlich dem Ende näherte, dankte er der Menge für zwanzig Jahre treuer Unterstützung. Er erinnerte daran, dass die braven Leute von Ford County ihm – und Rex Ella – in den letzten beiden Wahlen fast achtzig Prozent ihrer Stimmen gegeben hatten.
Der Applaus war lang und laut, und irgendwann verschwand Warren. Ich tat es ihm gleich. Ich hatte genug von Reden und Politik.
Vier Wochen später, in der Abenddämmerung des ersten Dienstags im August, versammelten sich fast dieselben Menschen zur Auszählung der Stimmen vor dem Gericht.
Es hatte deutlich abgekühlt: Die Temperatur lag nur noch bei dreiunddreißig Grad mit achtundneunzig Prozent Luftfeuchtigkeit.
Die letzten Tage vor der Wahl waren der Traum jedes Reporters gewesen. Zwei Bewerber um das Amt des Friedensrichters prügelten sich vor einer schwarzen Kirche. Es waren zwei Verfahren anhängig, wobei jede 314
Partei die andere der Verleumdung und der Verbreitung zweifelhafter Musterwahlzettel beschuldigte. Ein Mann wurde verhaftet, als er mit der Spraydose Obszönitäten auf eine von Mortons Anschlagtafeln sprühte. (Wie sich nach der Wahl herausstellte, war der Mann von einem von Mortons Handlangern damit beauftragt worden, die Plakate des Senators zu beschmutzen. Trotzdem wurde Warren dafür verantwortlich gemacht. »Ein häufig verwendeter Trick«, meinte Baggy.) Der Generalstaatsanwalt wurde beauftragt, die hohe Zahl der Briefwahlzettel zu untersuchen. »Eine typische Wahl«, lautete Baggys zusammenfassender Kommentar. An jenem Dienstag nun war der große Tag. Das gesamte County kam zum Stillstand, denn in den ländlichen Gegenden wurde eine Wahl geradezu als sportliches Ereignis betrachtet.
Die Wahllokale schlossen um sechs, und eine Stunde später herrschte auf dem Clanton Square gespannte Erwartung. Aus dem ganzen County strömten Menschen herbei, die sich um ihre Kandidaten sammelten und ihr Territorium sogar mit Wahlplakaten absteckten. Viele hatten Proviant und Getränke dabei, und die meisten waren mit Klappstühlen ausgerüstet wie bei einem Baseballspiel. In der Nähe der Eingangstür des Gerichtsgebäudes wurden zwei riesige schwarze Tafeln aufgestellt, auf die die Ergebnisse geschrieben wurden.
»Die Ergebnisse aus North Karaway sind da«, sagte die Wahlleiterin so laut ins Mikrofon, dass man es im Umkreis von zehn Kilometern hören konnte. Sofort wurde die festlich gestimmte Menge ernst.
»North Karaway ist immer der erste Wahlbezirk«, erklärte Baggy. Es war fast halb neun und so gut wie dunkel. Wir saßen auf dem Balkon vor meinem Büro und warteten auf die Ergebnisse. Wir wollten die Zeitung diesmal vierundzwanzig Stunden später in Druck gehen 315
lassen und am Donnerstag eine »Wahl-Sonderausgabe«
veröffentlichen. Es dauerte eine Weile, bis die Wahlleiterin die Gesamtstimmen für alle Kandidaten und Ämter verlesen hatte. Mittendrin sagte sie »Zur Wahl des Sheriffs«, und mehrere tausend Menschen hielten den Atem an.
»Mackey Don Coley vierundachtzig. Tryce McNatt einundzwanzig. T.
R. Meredith zweiundsechzig, und
Freck Oswald elf.« Auf der anderen Seite des Rasens, wo sich Coleys Anhänger niedergelassen hatten, wurde Beifall laut.
»Coley ist in Karaway immer schwer zu schlagen«, sagte Baggy. »Aber er ist erledigt.«
»Erledigt?«, fragte ich. Das war der erste Wahlbezirk von achtundzwanzig, und Baggy wusste bereits, wer gewonnen hatte?
»Ja. Dass Meredith in einer Gemeinde, in der er keine Basis hat, so gut abschneidet, zeigt, dass die Leute von Coley die Nase voll haben. Warten Sie, bis die Ergebnisse aus Clanton kommen.«
Langsam gingen die Wahlergebnisse aus Orten ein, von denen ich
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