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Die Liste

Die Liste

Titel: Die Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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nicht. Die Polizei benachrichtigen oder so was.«
    »Wurde er ermordet?«
    »Nein.«
    »Warum wollen Sie dann die Polizei rufen?«
    »Tut mir Leid, dass ich gefragt habe.«
    Gilma und Wilma luden mich auf eine Tasse Instant-kaffee in die Küche ein. Auf der Arbeitsfläche stand eine Packung Haferflocken neben einem großen Teller, in dem die Flocken bereits mit Milch gemischt waren. Offenbar hatte Wilma oder Gilma für ihren Bruder Frühstück gemacht. Als er nicht herunterkam, hatten die beiden nach ihm gesehen.
    Der Kaffee war nur mit Unmengen von Zucker genießbar. Sie saßen mir an dem schmalen Küchentisch gegenüber und beobachteten mich neugierig. Ihre Augen waren gerötet, aber sie weinten nicht.
    »Wir können hier nicht mehr leben«, sagte Wilma mit einer Endgültigkeit, die davon zeugte, dass das Thema seit Jahren diskutiert wurde.
    »Wir möchten, dass Sie das Haus kaufen«, setzte Gilma hinzu. Kaum hatte eine Schwester ihren Satz beendet, fing die andere einen neuen an.
    »Wir verkaufen es Ihnen …«
    »… für hunderttausend.«
    »Mit dem Geld …«
    331

    »… ziehen wir nach Florida.«
    »Florida?«, fragte ich.
    »Wir haben da eine Cousine …«
    »Sie lebt in einer Seniorenresidenz …«
    »Sehr hübsch …«
    »Die kümmern sich wirklich um einen …«
    »… und Melberta ist auch in der Nähe.«
    Melberta? Ich dachte, sie hätte noch irgendwo im Haus in den Schatten herumgelungert. Sie erzählten, dass sie sie vor einigen Monaten in einem Heim untergebracht hätten, das irgendwo nördlich von Tampa lag, und dort wollten auch sie den Rest ihres Lebens verbringen. Sich um ihr geliebtes Haus zu kümmern sei einfach zu viel für sie.
    Hüften, Knie und Augen würden ihnen den Dienst versagen. Wenn sie einmal am Tag die Treppe hinaufstiegen – »vierundzwanzig Stufen«, wie Gilma mir mitteilte –, hätten sie jedes Mal panische Angst, zu stürzen und sich das Genick zu brechen. Sie besäßen nicht genug Geld, um es so umzubauen, dass es für sie sicher sei, und wollten das, was sie besäßen, nicht für Haushälterinnen, Gärtner und jetzt auch noch einen Chauffeur ausgeben.
    »Wir möchten, dass Sie uns auch den Mercedes abkaufen.«
    »Wir können nämlich nicht Auto fahren.«
    »Max hat uns immer chauffiert.«
    Ich hatte gelegentlich zum Spaß einen Blick auf den Kilometerzähler von Max’ Mercedes geworfen. Er fuhr im Durchschnitt keine sechzehnhundert Kilometer im Jahr.
    Im Gegensatz zum Haus war das Auto so gut wie neu.
    Das Gebäude hatte sechs Schlafzimmer, vier Stockwerke, Keller, vier oder fünf Bäder, Wohn- und Esszimmer, Bibliothek, Küche, vom Einsturz bedrohte 332

    weitläufige Veranden und einen Dachboden, auf dem sich bestimmt jahrhundertealte Schätze aus dem Familienbesitz stapelten. Allein das Ausräumen würde Monate dauern, und vorher war an eine Renovierung nicht zu denken.
    Hunderttausend Dollar war nicht viel für ein solches Herrenhaus, aber im ganzen Staat wurden nicht genügend Zeitungen verkauft, um das Ding zu renovieren.
    Und was war mit den ganzen Tieren? Katzen, Vögel, Kaninchen, Eichhörnchen, Goldfische, das Anwesen war ein regelrechter Zoo.
    Ich hatte mich nach Häusern umgesehen, war aber ehrlich gesagt mit meiner monatlichen Miete von fünfzig Dollar so verwöhnt, dass es mir schwer fiel umzuziehen.
    Ich war vierundzwanzig, hatte keine eigene Familie und beobachtete mit großem Vergnügen, wie mein Bankkonto wuchs und wuchs. Warum sollte ich das Risiko eingehen, mich finanziell zu ruinieren, indem ich dieses Fass ohne Boden erstand?
    Zwei Tage nach der Beerdigung kaufte ich es.

    An einem kalten, nassen Donnerstag im Februar hielt ich vor dem Haus der Ruffins in Lowtown. Esau empfing mich auf der Veranda. »Handeln Sie jetzt mit Autos?«, fragte er mit einem Blick auf die Straße.
    »Nein, den kleinen Wagen habe ich auch noch«, sagte ich. »Der hier hat Mr Hocutt gehört.«
    »Ich dachte, er wäre schwarz gewesen.« In Ford County gab es so wenige Mercedes, dass es nicht schwer war, die Übersicht zu behalten.
    »Er musste lackiert werden.« Nachdem ohnehin die Messer und Scheren abgedeckt werden mussten, die Mr Hocutt auf beide Türen gemalt hatte, hatte ich gleich das ganze Auto dunkelbraun lackieren lassen.
    333

    In der Stadt hieß es, ich hätte mir den Mercedes von den Hocutts erschwindelt. Tatsächlich hatte ich dafür den Marktwert in voller Höhe bezahlt: neuntausendfünfhundert Dollar. Der Verkauf erfolgte mit Billigung von Richter Reuben V.

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