Die Liste
keine anonyme Post. Diese Leute waren aufgebrachte Patrioten, die mich nicht ausstehen konnten und wollten, dass das County davon erfuhr.
Es war mir egal. Ich hatte in ein Hornissennest gestochen, und zumindest sprach die Stadt jetzt über den Krieg. Die meisten dieser Debatten waren einseitig, aber ich hatte starke Gefühle geweckt.
Die Reaktion auf die siebzehn Briefe war verblüffend.
Eine Gruppe von Schülern der Highschool kam mir mit einem persönlich überbrachten Stapel von Briefen zu Hilfe. Sie waren überzeugte Kriegsgegner, hatten nicht die geringste Absicht, in Vietnam zu kämpfen, und fanden es merkwürdig, dass die meisten Briefe der Vorwoche von Menschen stammten, die für die Streitkräfte zu alt waren.
»Es ist unser Blut, nicht eures« war mein Lieblingszitat.
Viele Schüler griffen sich bestimmte Briefe heraus, die ich abgedruckt hatte, und attackierten den Verfasser persönlich. Becky Jenkins empörte sich über das Schreiben von Mr Robert Earl Huff, in dem es hieß: »…
unsere Nation gründet sich auf das Blut unserer Soldaten.
Für uns wird es immer Kriege geben.« Becky schrieb zurück: »Für uns wird es immer Kriege geben, solange 328
unwissende, gierige Menschen versuchen, anderen ihren Willen aufzuzwingen.«
Kirk Wallace nahm Anstoß an den markigen Worten, die Mrs Mattie Louise Ferguson für mich gefunden hatte.
»Leider würde Mrs Ferguson es gar nicht bemerken, wenn sie einem Kommunisten, Liberalen, Verräter oder Kriegsgewinnler gegenüberstünde. Wer draußen in Possum Ridge lebt, kommt mit solchen Menschen nämlich nicht in Berührung«, schrieb er im letzten Absatz.
In der folgenden Woche füllte ich wiederum eine ganze Seite mit den einunddreißig Briefen der Schüler. Außerdem waren drei verspätete Schreiben von Kriegstreibern eingegangen, die ich ebenfalls brachte. Daraufhin erhielt ich eine weitere Flut von Briefen, die ich alle druckte.
Wir fochten unseren Krieg auf den Seiten der Times bis Weihnachten aus; dann riefen alle den Waffenstillstand aus und machten es sich über die Feiertage gemütlich.
An Neujahr 1972 starb Max Hocutt. Früh an jenem Morgen klopfte Gilma so lange an das Fenster meiner Wohnung, bis ich aufstand. Ich hatte weniger als fünf Stunden geschlafen und brauchte dringend ein oder zwei Tage Schlaf.
Ich folgte ihr in das alte Herrenhaus. Es war mein erster Besuch seit vielen Monaten, und ich war entsetzt darüber, wie heruntergekommen die Innenräume waren. Aber im Moment gab es Dringenderes. Wir gingen zur Haupttreppe im Eingangsbereich, wo sich Wilma zu uns gesellte. Sie zeigte mit ihrem verkrümmten, faltigen Finger die Treppe hinauf. »Er liegt oben. Erste Tür rechts. Wir waren heute Morgen schon oben.«
Mehr als einmal pro Tag schafften sie die Treppe nicht.
Sie waren mittlerweile Ende siebzig und würden Mr Max 329
bald folgen.
Er lag in einem großen Bett und war bis zum Hals mit einem schmutzig-weißen Laken zugedeckt. Ich blieb einen Augenblick neben ihm stehen, um sicherzugehen, dass er nicht mehr atmete. Bis jetzt hatte ich noch nie jemanden für tot erklären müssen, aber hier gab es keinen Zweifel.
Mr Max sah aus, als hätte er schon vor einem Monat das Zeitliche gesegnet.
Ich ging die Treppe hinunter, wo mich Wilma und Gilma erwarteten. Sie hatten sich nicht von der Stelle gerührt und sahen mich an, als erwarteten sie von mir eine neue Diagnose.
»Ich fürchte, er ist tot«, sagte ich.
»Das wissen wir«, erwiderte Gilma.
»Sagen Sie uns, was wir tun sollen«, verlangte Wilma.
Es war das erste Mal, dass man mich aufforderte, in einem Todesfall etwas zu unternehmen, aber der nächste Schritt lag auf der Hand. »Vielleicht sollten wir Mr Magargel vom Bestattungsinstitut anrufen.«
»Ich hab es dir ja gesagt«, meinte Wilma zu Gilma.
Da sich die beiden nicht von der Stelle rührten, ging ich zum Telefon und rief Mr Magargel an. »Es ist Neujahr«, sagte er. Offenbar hatte mein Anruf ihn geweckt.
»Trotzdem ist er tot«, erwiderte ich.
»Sind Sie sicher?«
»Ja, ich bin sicher. Ich habe ihn gerade gesehen.«
»Wo ist er?«
»Im Bett. Er ist friedlich gestorben.«
»Manchmal schlafen diese alten Knacker nur fest, wissen Sie.«
Ich wandte mich ab, damit die Zwillinge nicht mithören 330
mussten, wie ich darüber diskutierte, ob ihr Bruder wirklich tot war. »Er schläft nicht, Mr Magargel. Er ist tot.«
»Ich bin in einer Stunde da.«
»Sollen wir was Bestimmtes tun?«
»Was zum Beispiel?«
»Ich weiß
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