Die Liste
gesprochen, die sie ausfindig machen konnte. Malcolm Vince hatte etwa fünf Monate in der Gegend gelebt. Er war nicht vorbestraft, nie festgenommen worden, nie an Schlägereien, Falschspiel, Ruhestörung oder Streitereien zwischen Betrunkenen beteiligt gewesen. Einmal pro Woche ging er in das bewusste Lokal, wo er Billard spielte, Bier trank und nicht ein einziges Mal laut wurde. Er hatte weder Kredite noch Rechnungen offen, die mehr als sechzig Tage überfällig gewesen wären. Anscheinend gab es auch keine illegitimen Affären oder eifersüchtige Ehemänner.
»Ich kann kein Motiv finden«, sagte der Sheriff. »Es ergibt einfach keinen Sinn.«
Ich erzählte ihm von Malcolms Zeugenaussage im Padgitt-Prozess und von Dannys Drohung gegen die Geschworenen. Er hörte aufmerksam zu und sagte danach nur noch wenig, sodass ich Eindruck bekam, er wollte lieber in Tishomingo County bleiben und nichts mit den Padgitts zu tun haben.
»Das könnte ihr Motiv sein«, sagte ich.
»Rache?«
»Sicher. Das sind sehr unangenehme Leute.«
»Oh, ich habe von ihnen gehört. Wir können uns wohl glücklich schätzen, dass wir nicht unter den Geschworenen waren, was?«
Auf der Rückfahrt nach Clanton sah ich das Gesicht des Sheriffs bei diesen Worten immer wieder vor mir. Von der Großtuerei des bewaffneten Gesetzeshüters war nichts mehr zu spüren gewesen. Spinner war ausgesprochen dankbar dafür, dass er zwei Countys weit weg war und nichts mit den Padgitts zu tun hatte.
Seine Ermittlung stockte. Der Fall schien unlösbar.
265
23
er einzige Jude in Clanton war Mr Harvey Kohn, ein adretter k
D
leiner Mann, der seit Jahrzehnten
Damenschuhe und Handtaschen verkaufte. Sein Geschäft befand sich neben der Kanzlei von Sullivan am Clanton Square und war in einer Häuserzeile untergebracht, die er während der Depression erworben hatte. Er war verwitwet, und seine Kinder hatten Clanton nach der Highschool den Rücken gekehrt. Einmal im Monat fuhr Mr Kohn nach Tupelo, um den Gottesdienst in der Synagoge zu besuchen.
Kohns Zielgruppe war das obere Marktsegment, was in einer Kleinstadt wie Clanton schwierig war. Die wenigen wohlhabenden Damen der Stadt kauften lieber in Memphis ein, wo sie höhere Preise bezahlten, mit denen sie dann zu Hause angeben konnten. Um seine Schuhe attraktiv zu machen, zeichnete Mr Kohn sie mit schockierend hohen Preisen aus, auf die er dann drastische Nachlässe gewährte. So konnten sich die Damen von Clanton aussuchen, welchen Preis sie nennen wollten, wenn sie ihre neuesten Erwerbungen vorführten.
Er leitete das Geschäft selbst, öffnete früh und blieb bis spät. Meistens arbeitete ein Schüler in Teilzeit für ihn.
Zwei Jahre, bevor ich nach Clanton kam, hatte er einen sechzehnjährigen Schwarzen namens Sam Ruffin eingestellt, um Warensendungen auszupacken, das Lager umzuräumen, den Laden zu putzen und ans Telefon zu gehen.
Sam entpuppte sich als klug und fleißig. Er war höflich, wohlerzogen, gut gekleidet, und es dauerte nicht lange, bis Mr Kohn jeden Tag um genau 11.45 Uhr zu einem kurzen Mittagessen und einem ausführlichen Nickerchen nach 266
Hause ging und das Geschäft in Sams Obhut ließ.
Eines Tages um die Mittagszeit erschien eine Dame namens Iris Durant im Laden und fand Sam allein vor.
Mrs Durant war einundvierzig und Mutter zweier halbwüchsiger Söhne, von denen einer in Sams Highschool-Klasse ging. Sie war einigermaßen attraktiv, flirtete gern und trug Miniröcke. Normalerweise bevorzugte sie Mr Kohns exotischere Modelle. Sie probierte zwei Dutzend Paare, kaufte nichts und ließ sich jede Menge Zeit. Sam kannte seine Produkte und behandelte ihre Füße mit großer Umsicht.
Am nächsten Tag war sie wieder da – gleiche Zeit, kürzerer Rock, stärkeres Make-up. Barfuß verführte sie Sam auf Mr Kohns Schreibtisch in dem kleinen Büro direkt hinter der Kasse. So begann eine leidenschaftliche Affäre, die beider Leben verändern sollte.
Mehrmals pro Woche ging Iris Durant Schuhe kaufen.
Sam fand im oberen Stock auf einem alten Sofa ein bequemeres Plätzchen. Er sperrte den Laden jedes Mal für fünfzehn Minuten zu, schaltete die Beleuchtung aus und raste hinauf.
Iris’ Ehemann war Sergeant der Mississippi Highway Patrol. Angesichts der Zahl der neuen Schuhe, die sich in ihrem Schrank stapelten, wurde er misstrauisch. Seine Frau hatte ihm während ihres Ehelebens bereits genügend Grund dazu gegeben.
Er engagierte Harry Rex. Ein Nachwuchspfadfinder hätte das Liebespaar
Weitere Kostenlose Bücher