Die Liste
erwischen können. Drei Tage hintereinander marschierte Iris zur gleichen Zeit in Kohns Geschäft, drei Tage hintereinander sperrte Sam hastig die Eingangstür ab, wobei er gehetzte Blicke nach allen Seiten warf, drei Tage hintereinander gingen die Lichter aus –
und so weiter und so fort. Am vierten Tag schlichen sich 267
Harry Rex und Sergeant Durant durch die Hintertür in den Laden. Sie hörten Lärm von oben. Durant platzte in das Liebesnest und hatte innerhalb von fünf Sekunden genügend Beweismaterial zusammen, um beide vor die Tür zu setzen.
Eine Stunde später feuerte Mr Kohn Sam. Harry Rex stellte noch am selben Nachmittag den Scheidungsantrag.
Wenig später landete Iris Durant mit Platz- und Schürf-wunden und einer gebrochenen Nase im Krankenhaus. Ihr Ehemann hatte mit den Fäusten auf sie eingedroschen, bis sie das Bewusstsein verlor. Nach Einbruch der Dunkelheit klopften drei uniformierte Staatspolizisten an die Tür von Sams Heim in Lowtown. Sie erklärten seinen Eltern, er werde in Verbindung mit einem nicht näher definierten Vorwurf wegen Unterschlagung gesucht, die er bei Kohn begangen haben solle. Bei einer Verurteilung werde er für zwanzig Jahre ins Gefängnis gehen. Außerdem sagten sie, natürlich inoffiziell, Sam sei mit einer verheirateten Weißen im Bett erwischt worden. Auf ihn sei ein Kopfgeld von fünftausend Dollar ausgesetzt.
Iris Durant verließ die Stadt entehrt, geschieden, ohne ihre Kinder und vollkommen verängstigt.
Ich hatte verschiedene Versionen von Sams Geschichte gehört. Als ich nach Clanton kam, lag der Vorfall schon eine Weile zurück. Dennoch wurde immer wieder davon gesprochen, so groß war der Skandal gewesen. Im Süden war es nicht ungewöhnlich, dass ein Weißer eine schwarze Mätresse hatte, aber Sam war der erste dokumentierte Fall in Clanton, in dem eine weiße Frau die Rassenschranke überschritten hatte.
Baggy hatte mir die Geschichte erzählt, die von Harry Rex weitgehend bestätigt wurde.
Miss Callie weigerte sich, über die Sache zu sprechen.
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Sam, ihr Jüngster, konnte nicht mehr nach Hause. Er war geflohen, hatte die Schule geschmissen und lebte seit nunmehr zwei Jahren auf Kosten seiner Geschwister. Jetzt hatte er sich bei mir gemeldet.
Ich ging zum Gericht und arbeitete mich durch Schubladen voll alter Akten, fand aber keinen Hinweis auf eine Anklage gegen Sam Ruffin. Ich fragte Sheriff Coley, ob ein Haftbefehl gegen ihn vorlag. Der wich der Frage aus und wollte wissen, warum ich in dem alten Fall herumstocherte. Ich fragte, ob Sam verhaftet werden würde, falls er nach Hause käme. Wieder keine direkte Antwort. »Seien Sie vorsichtig, Mr Traynor«, warnte er mich; mehr wollte er dazu nicht sagen.
Ich ging zu Harry Rex und erkundigte mich nach dem mittlerweile legendären Kopfgeld, das auf Sam ausgesetzt war. Er beschrieb seinen Mandanten, Sergeant Durant, als früheren Marine, Scharfschützen, der ein ganzes Waffenarsenal besitze, Karrierebeamten und Hitzkopf, der glaube, er könne die Schande, die Iris’ skandalöses Verhalten über ihn gebracht habe, nur auslöschen, wenn er ihren Liebhaber umbringe. Eigentlich wollte er seine Exfrau töten, aber er wolle nicht ins Gefängnis. Einen schwarzen Jungen zu erschießen halte er für weniger riskant. Ein Geschworenengericht in Ford County hätte dafür mehr Verständnis.
»Und er will es selbst tun«, erklärte Harry Rex, »um die fünftausend Dollar zu sparen.«
Er genoss es sichtlich, mir diese schlechte Nachricht zu überbringen, gab aber zu, seinen Mandanten seit anderthalb Jahren nicht gesehen zu haben. Er war sich nicht sicher, ob Mr Durant nicht bereits wieder geheiratet hatte.
Am Donnerstagmittag setzten wir uns an den Tisch auf der Veranda und dankten dem Herrn für das köstliche 269
Mahl, das vor uns stand. Esau war bei der Arbeit.
Im Spätsommer, als die Früchte im Garten reif gewesen waren, hatten wir häufig vegetarisch gegessen. Rote und gelbe Tomaten, Gurken und Zwiebeln in Essig, Butterbohnen, Brechbohnen, Erbsen, Kürbis, gekochte Kartoffeln, Maiskolben, und immer gab es warmes Maisbrot dazu. Jetzt, da die Luft kühler wurde und sich die Blätter verfärbten, bereitete Miss Callie kräftigere Speisen zu: Enteneintopf, Lammeintopf, Chili, rote Bohnen und Reis mit Schweinewurst und ihre Spezialität, Schmorfleisch.
An jenem Tag gab es Huhn mit Klößen. Ich aß langsam, wie sie es mich gelehrt hatte. Als ich halb aufgegessen hatte, sagte ich: »Sam hat mich
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