Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Liste

Die Liste

Titel: Die Liste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
Vom Netzwerk:
Traynor!«, sagte sie. »Sie sehen aber distinguiert aus.«
    »Danke.«
    »Erinnert mich irgendwie an Mark Twain.«
    Als ich weiterging, fühlte ich mich bereits besser. Zwei Sekretärinnen hasteten an mir vorbei. »Tolle Fliege«, rief mir eine von ihnen zu. Mrs Clare Ruth Seagraves hielt mich an und redete endlos über etwas, das ich vor Monaten geschrieben und mittlerweile vergessen hatte.
    Während sie sprach, nahm sie Anzug, Fliege und Hut in 256

    Augenschein. Selbst die Zigarre schien sie nicht zu stören.
    »Sie sehen wirklich gut aus, Mr Traynor«, sagte sie schließlich, etwas verlegen wegen ihrer Offenheit. Ich ging immer langsamer um den Platz herum und kam zu dem Schluss, dass Mitlo Recht hatte. Ich stand als Verleger im Berufsleben und war in Clanton eine wichtige Persönlichkeit, auch wenn ich mir gar nicht so bedeutend vorkam. Es war Zeit für ein neues Image.
    Allerdings mussten wir leichtere Zigarren finden. Bis ich den Clanton Square umrundet hatte, war mir so schwindelig, dass ich mich setzen musste.
    Mr Mitlo bestellte einen weiteren blauen Seersuckeranzug und zwei hellgraue. Er beschloss, dass meine Garderobe nicht dunkel sein sollte wie die der Anwälte und Bankiers, sondern hell und kühl und ein wenig unkonventionell. Höchstpersönlich suchte er originelle Fliegen und die richtigen Stoffe für Herbst und Winter für mich aus.
    Binnen eines Monats hatte Clanton sich daran gewöhnt, auf dem Clanton Square ein neues Original zu sehen. Ich erregte Aufmerksamkeit, besonders beim anderen Geschlecht. Harry Rex lachte mich aus, aber schließlich waren seine eigenen Anzüge komisch genug.
    Die Frauen jedenfalls waren begeistert.
    257

    22
    nde September waren innerhalb von einer Woche zwei bedeutende Todesfälle zu verzeichnen. Zu E
    m
    einen starb Wilson Caudle – zu Hause, allein in dem Schlafzimmer, in das er sich nach seinem Abschied von der Times zurückgezogen hatte. Es war merkwürdig, dass ich in den sechs Monaten, seit ich die Zeitung übernommen hatte, nicht einmal mit ihm gesprochen hatte, aber ich war zu beschäftigt gewesen, um mir darüber Gedanken zu machen. Traurig war nur, dass ich überhaupt niemanden kannte, der ihn in den letzten sechs Monaten gesehen oder mit ihm gesprochen hatte.
    Er starb am Donnerstag und wurde am Samstag beerdigt.
    Am Freitag eilte ich zu Mitlo, und wir besprachen, welches bei einem solchen Anlass die richtige Kleidung für eine bedeutende Persönlichkeit wie mich war. Er bestand auf einem schwarzen Anzug, zu dem er mir eine perfekt passende Fliege präsentierte: schmal, mit schwarzen und braunen Streifen, sehr gediegen, sehr respektabel. Nachdem er sie gebunden und den Anzug zurechtgerückt hatte, musste ich zugeben, dass ich ein eindrucksvolles Bild bot. Er holte einen schwarzen Fedora aus Filz aus seiner persönlichen Kollektion, den er mir stolz für die Beerdigung lieh. Immer wieder betonte er, es sei eine Schande, dass amerikanische Männer keine Hüte mehr trügen.
    Den letzten Schliff sollte mir ein glänzender schwarzer Holzstock verleihen. Als er ihn hervorholte, starrte ich ihn an. »Ich brauche keinen Gehstock«, protestierte ich. Es kam mir höchst albern vor.
    »Das ist ein Spazierstock«, sagte er und drückte ihn mir 258

    in die Hand.
    »Was ist da der Unterschied?«
    Daraufhin hielt er mir einen wirren Vortrag über die entscheidende Rolle, die Spazierstöcke bei der Entwicklung der zeitgenössischen Männermode in Europa gespielt hatten. Offenbar lag ihm das Thema sehr am Herzen, und je mehr er sich ereiferte, desto stärker wurde sein Akzent, sodass ich immer weniger verstand. Damit er Ruhe gab, nahm ich den Stock.
    Als ich am folgenden Tag die Methodistenkirche betrat, in der die Trauerfeier für Spot stattfand, zog ich die Blicke der Damen auf mich. Einige Männer ließen mich ebenfalls nicht aus den Augen, wobei sich die meisten vermutlich fragten, was ich mit einem schwarzen Hut und einem Stock wollte. Stan Atcavage, mein Bankier, flüsterte hinter mir so laut, dass ich es hören konnte: »Gleich fängt er an zu singen und zu tanzen.«
    »Der war wieder bei Mitlo«, flüsterte jemand zurück.
    Aus Versehen schlug ich mit dem Stock laut gegen die Bank vor mir, sodass die Trauergäste zusammenzuckten.
    Mir war nicht ganz klar, was man mit einem Stock bei einer Beerdigung tat, also klemmte ich ihn mir zwischen die Beine und legte den Hut in den Schoß. Es war harte Arbeit, das richtige Image zu vermitteln. Als ich mich umsah, sah ich,

Weitere Kostenlose Bücher